30.03.2016
Viele der in der sogenannten Sterbehilfe-Debatte vorgebrachten Argumente entbehren einer wissenschaftlichen Grundlage oder stehen sogar im Widerspruch dazu. Bei der internationalen Tagung "Assistierter Suizid – Der Stand der Wissenschaft" in Berlin wurden die neuesten empirischen Daten zum Thema präsentiert.
Die Organisatoren der Tagung (Prof. G.D. Borasio, Univ. Lausanne; PD Dr. Dr. R. Jox, LMU München; Prof. Dr. J. Taupitz, Univ. Mannheim; Prof. Dr. U. Wiesing, Univ. Tübingen) möchten mit dieser Tagung den Beratungsauftrag der Wissenschaft gegenüber der Politik wahrnehmen. Nachfolgend eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:
Prof. Linda Ganzini, Psychiaterin aus Oregon (USA), berichtete über Daten und Erfahrungen aus der Implementierung des 1997 in Kraft getretenen "Death with Dignity Act". Nach diesem Gesetz dürfen nur Ärzte unter strengen Bedingungen Schwerstkranken mit begrenzter Lebenserwartung ein tödliches Mittel verschreiben – wobei etwa ein Drittel dieser Menschen das Mittel letztlich nicht einnimmt und eines natürlichen Todes stirbt. Die wichtigsten Ergebnisse ihrer Forschungen:
Die Gesetzgebung aus Oregon ist von den US-Bundesstaaten Vermont und Washington übernommen worden. Ein ähnlicher Vorschlag passierte Anfang Juni den Senat Kaliforniens.
Die Rotterdamer Professorin Agnes van der Heide präsentierte Daten zur Praxis der Tötung auf Verlangen in den Niederlanden und Belgien:
Der Züricher Ethiker und Geriater Georg Bosshard zeigte Daten aus der Schweiz, wo die Suizidassistenz nur verboten ist, wenn sie aus selbstsüchtigen Gründen geschieht, ansonsten nicht gesetzlich geregelt ist und von Suizidhilfe-Organisationen wie Exit (nur für Schweizer) oder Dignitas (vorwiegend für Ausländer) seit Ende der 1980er-Jahre angeboten wird. Neuerdings plädiert Exit dafür, die Suizidhilfe auch Hochbetagten ohne schwere Erkrankungen anzubieten. Seine wichtigsten Ergebnisse:
Die Tessiner Palliativmedizinerin Claudia Gamondi hat Angehörige von Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch genommen haben, interviewt. Die wichtigsten Ergebnisse:
Der Münchner Medizinethiker Ralf Jox zeigte Daten aus Deutschland:
"Diese Daten legen nahe, dass ein Verbot der Suizidhilfe die Betroffenen dazu veranlassen würde, als Alternativen die gewaltsame Selbsttötung, die Fahrt in die Schweiz oder eine unsichere und belastende Suizidhilfe durch Angehörige zu versuchen", vermutet Jox.
Der Bochumer Medizinethiker und Internist Jan Schildmann befragte jüngst die deutschen Ärzte zum Thema Sterbehilfe – nur fünf der 17 Landesärztekammern erlaubten ihm die Befragung ihrer Mitglieder. Dennoch gaben 743 Ärzte Auskunft:
Bewertung der empirischen Ergebnisse: Die Vorträge haben eindrucksvoll gezeigt, wie unterschiedlich sich die Fallzahlen von Tötung auf Verlangen und assistiertem Suizid international entwickeln.
Bedenklich erscheint die Entwicklung in der Schweiz, wo aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung sich eine Tendenz zur Ausweitung der Suizidhilfe zeigt, die im Vergleich zu Oregon von deutlich steigenden Zahlen begleitet wird. Sehr problematisch erscheint die Regelung in den Niederlanden und in Belgien, wo eine rasante Steigerung der Fälle von Tötung auf Verlangen sowie eine Ausweitung dieser Praxis auf psychisch kranke und demente Menschen sowie auf Kinder zu verzeichnen ist. Die Daten zeigen, dass die Befürchtungen in Richtung eines "Dammbruchs" bei einer klaren gesetzlichen Regelung des ärztlich assistierten Suizids (wie sie in Oregon existiert) aus wissenschaftlicher Sicht unbegründet sind.
ist Leiterin des Bereiches "Kommunikation & Marketing" im Deutschen Stiftungszentrum.
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