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Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes

Wer die Demokratie stärken will, muss die Zivilgesellschaft stärken

Forderungen des Bündnisses für Gemeinnützigkeit an eine neue Bundesregierung. Ein Beitrag von Jan Wenzel, Stephanie Berger und Michaela Röhrbein

Die Ampelkoalition war mit einem ambitionierten Koalitionsvertrag gestartet, der viele Maßnahmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft vorsah. Am Ende der vorzeitig beendeten Legislatur wurde davon leider wenig umgesetzt. Insofern gilt auch für eine neue Bundesregierung, dass viele Forderungen und Vorhaben weiterhin bestehen bleiben.

Mehr Rechtssicherheit und ein signifikanter Bürokratieabbau bleiben die Eckpfeiler der Forderungen des gemeinnützigen Sektors an die künftige Bundesregierung, unabhängig von ihrer parteipolitischen Zusammensetzung. Das Engagement der fast 30 Millionen Engagierten in den Vereinen, Stiftungen und gemeinnützigen Kapitalgesellschaften ist eine wichtige Stütze für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Zivilgesellschaft leistet einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der Demokratie, zu gesellschaftlichen Aufgaben von der Wohlfahrtspflege über den Sport bis zum lokalen und internationalen Einsatz in Krisen und Katastrophen. Diese Erkenntnis wird zu vielen Anlässen von Politikerinnen und Politikern aller demokratischen Parteien betont. Somit steht jede Koalition in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für die Engagierten in den Organisationen so zu gestalten, dass sie sich der Erreichung der als gemeinnützig anerkannten Zielen widmen können.

 

Engagementstrategie des Bundes

Kurz vor Ende der Legislatur hat sich der Bund eine neue Engagementstrategie gegeben. Sie soll als Leitlinie auch für künftige Regierungen gelten. Die Strategie knüpft an die im Jahr 2010 verabschiedete "Nationale Engagementstrategie der Bundesregierung" an und löst diese ab. Übergeordnetes Ziel ist es, "freiwilliges, auf den Werten der Verfassung ausgerichtetes Engagement für alle zu ermöglichen und dieses im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Bundes durch geeignete Rahmenbedingungen zu fördern und zu stärken".

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat sie bei der Vorstellung der als "solides Fundament" und "Rahmen" bezeichnet, den es allerdings erst noch zu füllen gelte. Tatsächlich werden in der verabschiedeten Strategie aus Sicht der Zivilgesellschaft durchaus wichtige Ziele wie Teilhabe oder digitale Transformation benannt. Die Strategie liefert auch eine hilfreiche Bestandsaufnahme der Förderprogramme verschiedener Ministerien auf Bundesebene. Allerdings lässt sie noch an vielen Stellen Konkretisierungen vermissen. So bleibt es letztlich Aufgabe der nächsten Regierung, diese mit Leben zu füllen.

Das Bündnis für Gemeinnützigkeit (BfG) hat für die Bundestagswahl 2025 und die kommende Bundesregierung seine politischen Forderungen konkretisiert. Sie richten sich an alle demokratischen Parteien, die sich um den Einzug in den Bundestag bewerben.

Die Forderungen des Bündnisses für Gemeinnützigkeit im Wortlaut:
 

Eine aktive Zivilgesellschaft ist Überlebensvoraussetzung einer freiheitlichen Demokratie und das Fundament des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

 
Wir beobachten mit Sorge zunehmende Forderungen aus dem politischen Raum, gemeinnützige Organisationen in ihrer Arbeit einzuschränken. Anstatt ihre wichtige Rolle in vielen Lebensbereichen anzuerkennen, erleben wir ihre Infragestellung, Vorstöße zur Aberkennung ihres Status der Gemeinnützigkeit, Abwertung ihrer Arbeit oder Kürzung von Fördermitteln.

Demokratie braucht breite Räume für zivilgesellschaftliches Engagement außerhalb von Parteien. Wir erwarten auch von der kommenden Bundesregierung und dem nächsten Deutschen Bundestag, dass sie diese Freiräume schützen und, wo erforderlich, erweitern.

Fast 30 Millionen Bürgerinnen und Bürger gestalten durch ihr Engagement in ihrem direkten Lebensumfeld über zivilgesellschaftliche Organisationen unser Gemeinwesen. Wesentliche und unverzichtbare Bereiche des gesellschaftlichen Lebens werden durch dieses Engagement und durch die 660.000 gemeinnützigen Organisationen mitgestaltet und verantwortet. Der sozialverträgliche, klimapolitische Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, die internationale Zusammenarbeit oder die Digitalisierung – all das kann nur bewältigt werden, wenn Politik und eine starke Zivilgesellschaft eng zusammenarbeiten.

Das Engagement von Menschen in Bereichen wie Bildung, Sport, Soziales, Gesundheit und Pflege, Kultur, Zivilschutz, Integration oder Umwelt führt zu volkswirtschaftlich wertvollen und gesellschaftlich stabilisierenden Effekten. Mehr als vier Millionen sozialversicherungspflichtige oder geringfügig Beschäftigte sind in gemeinnützigen Organisationen tätig. Sie arbeiten und engagieren sich in der Freien Wohlfahrtspflege, den Freiwilligendiensten, gemeinnützigen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften. Knapp 60 Prozent der Organisationen haben ihren Sitz in kleinen Gemeinden oder Kleinstädten unter 20.000 Einwohnern. Die Gesamtausgaben des gemeinnützigen Sektors belaufen sich auf rund 3,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Der gemeinnützige Sektor hat in den letzten Jahren eine ständig komplexer werdende Regulierung erlebt. Verwaltungsaufgaben, Melde- und Registerpflichten und persönliche Haftungsrisiken nehmen immer mehr zu. Die Folge: Die Bereitschaft, sich zu engagieren, sinkt. Damit sich Bürger und Bürgerinnen für unsere Gesellschaft einsetzen, benötigen sie verlässliche und rechtssichere Rahmenbedingungen und motivierende Engagementstrukturen.

 

Hierzu muss eine neue Bundesregierung folgende Maßnahmen umsetzen:

  1. Zivilgesellschaft als eigenständigen Akteur respektieren
    Das Prinzip der Selbstorganisation der Zivilgesellschaft wird zum allgemeinen Prinzip von Engagementpolitik gemacht. Akteure des zivilgesellschaftlichen Engagements werden als kritische und konstruktive Partner von Politik und Verwaltung konsequent bei der Vorbereitung und Umsetzung von relevanten politischen Entscheidungen eingebunden. Der Gesetzgeber ist gefordert, das Engagement zu stärken und zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume in ihrer Eigenständigkeit zu schützen.
     
  2. Entlastung von Bürokratie und Verwaltungsvereinfachung
    Zivilgesellschaftliches Engagement wird zukünftig durch systematische Überprüfung aller Gesetzentwürfe auf unnötige Folgekosten und übermäßigen administrativen Aufwand entbürokratisiert. Der Normenkontrollrat etabliert eine entsprechende Prüfung und ein einheitliches Registerkonzept nach dem Once-Only-Prinzip wird eingeführt.
     
  3. Zeitgemäßes Gemeinnützigkeitsrecht
    Wichtig ist die Schaffung von Rechtssicherheit auch in der politischen Betätigung und die Reduzierung von Haftungsrisiken im Ehrenamt zum Beispiel durch die Einführung einer Business Judgement Rule. Erforderlich sind auch Vereinfachungen im Steuerrecht bspw. durch den Abbau von Hürden für Sachspenden sowie die Vereinfachung von Kooperationen durch Abschaffung des doppelten Satzungserfordernisses, außerdem die maßvolle Behandlung von Bagatellverstößen. Wir verweisen hierzu auf die Rechtspolitischen Forderungen des BfG mit 26 konkreten Handlungsempfehlungen, die auf unserer Webseite einsehbar sind.
     
  4. Praxistaugliches Haushalts- und Zuwendungsrecht
    Die Fördermittelvergabe wird konsequent flexibilisiert – zum Beispiel durch die entsprechende Anpassung des Zuwendungsrechts, insbesondere der Bundeshaushaltsordnung und der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung. Die Förderrichtlinien sollten für Bund und Länder einheitlicher sein und werden auf Engagementtauglichkeit und Engagementpraktikabilität geprüft.
     
  5. Engagementförderung muss kommunale Pflichtaufgabe werden
    Dem Bund wird ermöglicht, Engagement im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsaufgabe finanziell zu fördern und auch die dauerhafte Finanzierung der Infrastruktur von Einrichtungen der Engagementförderung zu gewährleisten.
     

Engagementpolitik ist Querschnittspolitik und muss ein Arbeitsbereich in allen Ministerien sein. Eine Staatsministerin bzw. ein Staatsminister im Bundeskanzleramt muss als zentral verantwortliche Ansprechperson in der Bundesregierung den ausdrücklichen Auftrag zur Koordinierung der Engagementpolitik und Stärkung der Zivilgesellschaft erhalten.

Begleitend ist ein Expertengremium zwischen Bundesregierung, Bundestag und Expertinnen und Experten aus gemeinnützigen Organisationen notwendig, in dem die Zivilgesellschaft maßgeblich mitarbeitet und die konkreten Erfahrungen und Herausforderungen aus der täglichen Praxis einfließen lässt. Seine Arbeitsweise und Empfehlungen sollten gemeinsam verbindlich definiert und kontinuierlich evaluiert werden.

 
Der Beitrag ist zuerst in der Ausgabe 1/2025 des Fachmagazins Stiftung&Sponsoring erschienen.

 

KURZ & KNAPP

Das BfG hat für die neue Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog veröffentlicht, um die Zivilgesellschaft zu stärken und die Demokratie zu festigen. Dieser erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Zivilgesellschaft, um gesellschaftliche Herausforderungen in Zukunft erfolgreich zu bewältigen.

Bündnis für Gemeinnützigkeit (Logo)

 
 
Das Bündnis für Gemeinnützigkeit ist ein Zusammenschluss von großen Dachverbänden und unabhängigen Organisationen des Dritten Sektors sowie von Expertinnen und Experten wie auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Diese stehen für Organisationen mit mehr als 30 Millionen Engagierten.

 
AUTORINNEN UND AUTOR

  • Jan Wenzel ist seit 2019 Bereichsleiter für den Bereich Stärkung der Zivilgesellschaft im Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO). Er ist Sprecher des Bündnisses für Gemeinnützigkeit.
  • Rechtsanwältin Stephanie Berger ist Geschäftsführerin im Deutschen Stiftungszentrum (Recht und Steuern) und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung des Stifterverbandes (Finanzen, Controlling, Steuern und Recht).
  • Michaela Röhrbein ist seit 2022 Vorständin für Sportentwicklung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und leitet den Dachverband u.a. in Fragen  zu Bedingungen für das ehrenamtliche Engagement.

 

Stiftung&Sponsoring (Logo)

Als führende Grantmaking-Zeitschrift im deutsch­sprachigen Raum widmet sich Stiftung&Sponsoring dem gesellschaftlich wichtigen Feld gemeinnütziger Aktivitäten aus der Sicht der Stifter, Spender und Sponsoren, der Macher und Mitarbeiter: Mit viel Praxisorientierung und hoher fachlicher Kompetenz, national und international. Das Fachmagazin bietet Beiträge zu aktuellen Praxisthemen aus Stiftungsmanagement, Stiftungsrecht und Steuerrecht, Fördertätigkeit und Vermögensverwaltung, Marketing und Kommunikation, außerdem Interviews mit bekannten Persönlichkeiten, Branchennews und Rezensionen. Spezialdossiers zu aktuellen Themen sind in der regelmäßigen Fachbeilage "Rote Seiten" zu finden.

 

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