Ein Dienstagnachmittag in einer Sporthalle in Geisenheim: Acht ungleiche Paare stehen an der künstlichen Kletterwand. Die Abiturienten der Rheingauschule legen Kindern mit Behinderung spezielle Ganzkörper-Sicherungsgurte an und helfen ihnen dabei, die acht Meter hohe Wand zu erklimmen.
Das ist für alle eine Herausforderung: Zwei achtjährige Jungs mit Muskelschwund sind zu schwach, um selbstständig zu laufen. Doch die Schüler, die sie sicherten, haben ihnen am Seil so viel Körpergewicht abgenommen, dass sie sich trotz ihrer Einschränkung die halbe Wand hochziehen konnten. "Die Lebensfreude der Kinder trotz ihres Handicaps zu erleben, die strahlenden Augen zu sehen, wenn die Kletterwand bezwungen wurde, das sind Erfahrungen, die die Abiturienten berühren und Barrieren in den Köpfen sehr schnell dahin schmelzen lassen", erzählt Andel Glock von der Turngemeinde Rüdesheim 1847.
Insgesamt 15 behinderte Kinder aus sonderpädagogischen Wohngruppen und 15 Abiturienten bilden für ein Vierteljahr Kletterpaare. Die Idee für dieses ungewöhnliche Inklusionsprojekt hat die Abteilung für Integrativsport der Turngemeinde Rüdesheim erstmals 2011 erprobt. Seither können Schüler jedes Jahr diesen besonderen Sportkurs freiwillig wählen. Für sie kommt es hier weniger auf ihre sportlichen Leistungen an, vielmehr werden Verantwortungsbewusstsein, Einfühlungsvermögen und Motivationsfähigkeit bewertet.
"Eine tolle Verbindung von Bewegung und sozialen Lernerfahrungen", findet die Jury der Stiftung Bildung und Gesellschaft. "Das beeindruckende Projekt ist ein gelungenes Beispiel, wie durch Inklusion alle profitieren. Hier kommt es auf den Sportsgeist, auf das Miteinander an." Fast keiner der Gymnasiasten hatte zuvor Kontakt zu Menschen mit Behinderung – hier legen sie ihre anfängliche Scheu schnell ab und lernen, dass der Umgang etwas ganz Normales sein kann. Und: Mit Genehmigung des Hessischen Kultusministeriums fließt der Kurs sogar in die Abiturnote ein.