16.02.2017
Studientag des Zentrums Seniorenstudium in Zusammenarbeit mit der Münchener Universitätsgesellschaft: Angst ist ein wirkmächtiges Gefühl, das wir zum Überleben brauchen. Doch in der aktuellen Situation wird Angst auch vielfach instrumentalisiert.
Das 2017 im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Studientag" gewählte Thema Angst traf auf erwartet großes Interesse. So konnten Prof. Dr. Elisabeth Weiss, Direktorin des Zentrums Seniorenstudium der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), und Prof. Dr. Gerhard Berz, Vorstandsmitglied der Universitätsgesellschaft, am 11. Februar 2017 im fast vollbesetzten Hörsaal rund 300 Zuhörer begrüßen.
Von dunklen Mächten miterzogen? Dieser Frage stellte sich anhand Relektüren zur Geschichte der Pädagogik Prof. Dr. Dr. Elisabeth Zwick vom Institut für Pädagogik und spannte einen großen Bogen von der Angst im alten Ägypten und antiken Griechenland ("Angst erschüttert, völlig machtlos ausgeliefert") über Aristoteles ("Nicht mehr Riten, sondern Ordnung schaffen durch Denken") und Thomas von Aquin ("Angst im Kontext der Ethik") bis in die Moderne zu Niklas Luhmann ("Angst – das moderne Apriori"). Zwick erklärte, dass Angst immer eine Frage des "Erlernten" darstelle. Der Mensch müsse wissen, was Angst macht. Die reine Sinneswahrnehmung führe noch nicht zum Angstgefühl, nur wenn der Mensch gelernt hätte: "Davor muss ich mich fürchten", entsteht Angst. Zur Begriffserklärung erläuterte Zwick, Angst bedeute aber nicht Verzweiflung, denn der Gegenspieler von Angst hieße Hoffnung.
Prof. Dr. Markus Vogt vom Institut für christliche Sozialethik sprach zum Thema "Christlicher Glaube als Überwindung der Angst – Herausforderungen in der aktuellen Arena politischer Emotionen". Vogt begann mit einem Filmzitat aus dem Film Weissensee: "Alles, was wir aus Angst tun, kommt irgendwie zu uns zurück wie ein Bumerang." Vogt erläuterte, dass in der derzeit herrschenden Orientierungslosigkeit nur ein positives Grundvertrauen helfe, um vor Angst nicht handlungsunfähig zu sein. "Die Angst ernst zu nehmen, aber sich von der Angst nicht die Autorenschaft über das eigene Leben nehmen zu lassen", sei angebracht, zitierte Vogt Julian Nida-Rümelin.
Vogt prangerte auch an, dass die Hoffnung auf höchstmögliche Bildung utopisch aufgeladen sei und Eltern dazu führe, schon das ungeborene Kind im Mutterleib mit Wissen zu beschallen. Zum Schluss empfahl Vogt die Lektüre des Buches "Du sollst nicht funktionieren: Für eine neue Lebenskunst" von Ariadne von Schirach.
Mit einem ganzen Stapel voller Zeitungsausschnitte trat Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld vom Centrum für angewandte Politikforschung ans Rednerpult. In großen Lettern war dort immer wieder das Wort "ANGST" zu lesen. Weidenfeld referierte über das Thema: "Angst – ein Instrument der Politik?" Bezugnehmend auf Kant ("Es gibt kein Ding an sich, sondern nur unsere Wahrnehmung davon") plädierte Weidenfeld dafür, "den Sachverhalt stets von innen zu verkosten", um dann besonnen zu reagieren. "Wir leben in einer Misstrauensgesellschaft, und das führt zu Angst", so Weidenfeld und warb für einen Vertrauensvorschuss, um aus dem Teufelskreis Angst auszubrechen. Weidenfeld begeisterte die Zuhörer mit vielen Geschichten und Hintergrundinformationen aus seiner langjährigen Tätigkeit als politischer Berater. So erzählte er auch, dass Lech Walesa stets einen großen Rosenkranz mit sich trug und in Gesprächen die Angewohnheit hatte, diesen vor den Gesichtern der Gesprächspartner hin und her zu schwenken. Zum Thema "Kalkül mit der Angst" berichtete Weidenfeld, dass Putin in Vier-Augen-Gesprächen mit Angela Merkel immer seinen Hund mit im Raum hat, obwohl er weiß, dass Merkel als Kind von einem Hund gebissen wurde. Auch Weidenfeld empfahl eine ergänzende Lektüre, nämlich "Macht im 21. Jahrhundert" von Joseph Nye. Nye behandelt in dem Buch Themen, die im Zentrum aktueller weltpolitischer Debatten stehen und die um den von ihm geprägten Begriff der "Smart Power" kreisen.
"Ich lade Sie ein, Angst zu haben!" Mit diesem provokanten Satz begann Prof. Dr. Willi Butollo vom Department Psychologie seinen Vortrag mit dem Thema "Von der Angst an der Kontaktgrenze – Es gibt ein Leben zwischen Angriff und Unterwerfung". Butollo unterschied dabei die physische Kontaktgrenze, die der Körper darstelle und die psychische Kontaktgrenze, die viel diffuser zu ziehen sei. "Kontakt ist das Wesen alles Lebendigen!", sagte Butollo und ergänzte, dass jeglicher Kontakt mit der Außenwelt in der Innenwelt vorbereitet und abgewickelt wird und einen komplexen Vorgang darstelle. Jede Begegnung sei dabei jedoch misslungen, wenn einer nur nachgibt, damit kein Konflikt entstehe. Er plädierte dafür, "nicht nur zu handeln, damit die Angst weggeht, sondern die Bereitschaft zu entwickeln, Unsicherheit und Angst zuzulassen" und dann nach Lösungen zu suchen.
Nach einer ausführlichen Diskussionsrunde mit dem Auditorium beendete Prof. Berz den äußerst informativen Studientag.