18.12.2017
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "drinnen und draußen" der Münchener Universitätsgesellschaft fand am 6. Dezember 2017 in der Großen Aula der Ludwig-Maximilans-Universität (LMU) eine Podiumsdiskussion zum Thema "Wissenschaft unter Druck" statt.
Eine Diskussion zwischen Spitzenforschern, Journalisten, Vertretern der Wirtschaft und Professoren der LMU über die Wissenschaft im Spannungsfeld neuer Mauern und Zwänge
"Ne quid falsi audeat ne quid veri non audeat dicere scientia", so lautet die Inschrift über einem der Haupteingänge zum Auditorium Maximum der Ludwig-Maximilians-Universität, und eben mit diesen Worten, "die Wissenschaft wage es nicht, etwas Falsches zu sagen oder etwas Wahres nicht zu sagen", führte Moderator Prof. Dr. Dr. Peter Höppe die knapp 400 Zuhörer in das hochaktuelle Thema der Podiumsdiskussion ein.
"Denn leider", so Höppe weiter, "wird diesem Anspruch manchmal nicht Genüge getan." Er führte mehrere historische Beispiele der Wissenschaftsverfälschung an, von der Tabakindustrie, die unliebsame Studien in der Schublade hält, bis hin zum Wahlprogramm der AfD, in welchem behauptet wird, dass das Spurengas Kohlenstoffdioxid (CO2) kein Schadstoff sei. Auch international fänden bedenkliche Entwicklungen statt. Der Unmut über solche Entwicklungen war auch Initialzündung für den March of Science am 22. April 2017. Hunderttausende demonstrierten an 600 Orten.
Dr. Bettina Orlopp, Mitglied des Vorstands der Commerzbank, nannte drei Punkte, die die Wirtschaft von der Wissenschaft braucht: Fachkräfte, Grundlagenforschung und eine aktive Rolle der Wissenschaft in der gesellschaftlichen Debatte. Orlopp forderte in diesem Zusammenhang, "an einem Strang zu ziehen" und aufgrund der Tatsache, dass die Prozesse – auch durch Digitalisierung – immer schneller ablaufen werden, eine ordentliche Debatte mit Fakten statt Effekthascherei zu führen. Orlopp ergänzte, dass Mobilität, Energie, Umgang mit Datenmengen und als Schlagwort BitCoin Themen der Zukunft seien, denen man nur mit fundierter wissenschaftlicher Ausbildung und lebenslangem Weiterlernen begegnen könne.
Prof. Dr. Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und engagierter Redner bei der Abschlusskundgebung beim Münchener "March for Science", betonte, dass die Wissenschaft noch nie so wichtig für jedes einzelne Leben war wie jetzt. "Wissen explodiert", erläuterte Startmann. "In atemberaubender Geschwindigkeit werden immense Datenmengen veröffentlicht", und er frage sich, wie geht man mit diesen riesigen Datenmengen um? Auch Stratmann plädierte für einen gesellschaftlichen Dialog und mahnte eine neutrale Medienlandschaft an.
Dieses Stichwort griff Dr. Patrick Illinger, Leiter des Ressorts "Wissen" bei der Süddeutschen Zeitung, gerne auf. Er verglich die gängige Praxis ungenügend recherchierter Meldungen im Verhältnis zu professionellem Journalismus, als "würde man die Berufsfeuerwehr abschaffen, und jeder soll sich doch einfach einen Feuerlöscher kaufen". Illinger bezeichnete es des Weiteren als "ungeheuerlich, was derzeit in den USA passiert" und nannte es "einfach nur dumm", fundierte wissenschaftliche Ergebnisse zu leugnen. Illinger bemängelte jedoch auch die Publikationsflut aus der Wissenschaft, die nicht mehr zu bewältigen sei. "Falsch und schlampig recherchiert" führe diese zu einer großen Verunsicherung in der Gesellschaft. "Solch 'Halbgares' dürfen wir uns nicht mehr leisten", forderte Illinger.
Prof. Dr. Armin Nassehi, Lehrstuhlinhaber am Institut für Soziologie, bezeichnete sich selbst als "Insasse der Anstalt" und erntete damit einen Lacher im Publikum. Nassehi hat den Eindruck, dass die Gesellschaft, als sie noch nicht soviel wusste, viel tatkräftiger war als heute. Zum Klimawandel, zum Beispiel, bestünde viel, viel Wissen, aber es gelänge nicht, effektiv etwas dagegen zu tun. Er stelle sich immer wieder neu die Frage, was er eigentlich seinen jungen Studenten beibringen muss.
Prof. Dr. Harald Lesch, Lehrstuhlinhaber für Astronomie und Astrophysik, sah einen wesentlichen Grund für die "Publikationswut" an dem großen Bedarf an Drittmittelakquise. "Hauptsache, der quantitative Output stimme, dann wird schon mal auf gute wissenschaftliche Praxis verzichtet und stattdessen getäuscht und getrickst." Lesch bestätigte aus seinem Erfahrungsbereich, dass das Vertrauen in die Wissenschaft in der Gesellschaft erodiert sei, und betonte, dass bekannterweise nichts so schwer wiederzugewinnen sei wie Vertrauen.
Transparenz und Nachvollziehbarkeit des wissenschaftlichen Arbeitens, die Menschen mitnehmen, Qualität statt Quantität und einen gemeinsamen Dialog führen, wurden von den Panelisten als Ansatzpunkte für Lösungswege genannt. Im Kern sei die Wissenschaft jedoch gesund. Die Wissenschaft müsse sich aber stets die Fragen stellen: Was war die wichtigste Erkenntnis? Welche Erkenntnis überlebt die Zeit? Und welche Frage stellt sich als nächste? Wichtig festzuhalten sei auch, dass das Internet – bei allen berechtigten Vorbehalten – eine grandiose Quelle darstelle, an Wissen zu kommen.
Als Resümee der Podiumsdiskussion und für die weiterführenden Gespräche im Laufe des Abends könnte auch hier gelten: Vielseitigkeit setzt sich durch.
Die äußerst informative Veranstaltung wurde vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet und wird in der Sendereihe "Denkzeit" bei ARD-alpha ausgestrahlt. Den Sendetermin wird die Universitätsgesellschaft auf ihrer Internetseite bekannt geben.
ist Leiterin des Bereiches "Kommunikation & Marketing" im Deutschen Stiftungszentrum.
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