Im kommenden Jahr besteht der Bildungsverein Chancenwerk 20 Jahre. Viel weiter zurück liegt die Initialzündung zur Gründung dieser Gemeinschaft aktiver Menschen, die Kinder und Jugendliche in deren schulischer und persönlicher Entwicklung unterstützt. Ein Anliegen dabei ist es, Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen zu bieten.
Şerife Vural-Banik und Murat Vural wissen aus eigenen Erfahrungen, wie wichtig gerade in der Jugend Akzeptanz und Bildung sind. Als Kinder von Gastarbeitern aus der Türkei wurden die Geschwister in Deutschland geboren. Sie wuchsen im Kohlenpott – in Herne – auf, in einem Einwandererstadtteil, über das Murat Vural gesagt hat: "Dort traf ich mich mit türkischen und marokkanischen Kindern zum Spielen. Das Viertel hörte auf, wo die deutschen Schäferhunde bellten." Deutsch wurde dort nicht gesprochen, weder auf der Straße noch zuhause. Ihre Sprachprobleme machten Şerife und Murat zu Außenseitern in der Grundschule. Das stachelte die Geschwister besonders an, mit ihren Mitschülern und Mitschülerinnen mithalten zu können, und motivierte sie fortan, eine erfolgreiche Schullaufbahn zu durchlaufen. Doch nach der Grundschule wurde ihre Schulzeit in Deutschland durch einen Umzug in die Türkei unterbrochen.
Aber auch dort, in Ankara, waren sie die Fremden, die durch ihren anatolischen Dialekt auffielen. Murat kompensierte Zurückweisungen durch Leistung; vor allem in der Mathematik. Er besuchte das Gymnasium, ging auf ein Elite-Internat. Şerife zog mit ihren Eltern bereits nach drei Jahren zurück nach Deutschland. Murat folgte seiner Familie nach dem Abschluss des Internats. Zurück in Deutschland wurde er in der Hauptschule eingestuft und musste sich abermals beweisen. Eine Lehrerin bereitete ihm für Mathematikarbeiten extra schwierige Aufgaben vor, bei denen sich die Pädagogin selbst überfordert fühlte. Murat aber erläuterte der Klasse die Lösungswege.
So kämpften sich Şerife und Murat durch das Bildungssystem, machten Abitur und schlossen ihr Studium mit Bestnoten ab, wurden Ingenieur für Elektrotechnik und Sozialpädagogin. Şerife war es, die im Laufe ihres Studiums feststellen musste, dass auch Kommilitonen mit Migrationshintergrund ähnliche Erlebnisse wie sie während ihrer Schulzeit gemacht hatten und nicht wussten, wie systematisches Lernen funktioniert und wie man sich für seine Interessen einsetzt. Bei Recherchen zu ihrer Diplomarbeit "Die Bildungssituation von Migrantenkindern in Deutschland" wurde sie erneut auf Probleme und Erfahrungen vieler junger Heranwachsender mit Migrationshintergrund aufmerksam. Sie ging zu Murat und sagte: "Bruder, wir müssen was tun!"