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Der Blick ins Grüne – Einblicke in die gesundheitsfördernden Einflüsse der Natur

03.07.2023

Fünf Fragen an: Die Hamburger Forschungsgruppe Alternde Gesellschaft und Urbanisierung

Urbanisierung und Alterung der Bevölkerung sind Trends, die das Gesicht der Gesellschaft in Deutschland zunehmend prägen. Das Leben in Städten hält für alle Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner Licht- und Schattenseiten bereit: Lärm, Schmutz und Stadtgrau auf der einen, kulturelle Angebote, eine gute Versorgungsstruktur, Stadtgrün und Stadtblau auf der anderen Seite.

Wer etwa regelmäßig die positiven Effekte des Stadtgrüns nutzt, Stadtparks und Grünflächen aufsucht, tut nicht nur seinem Wohlbefinden, sondern auch seinem Gehirn etwas Gutes, wie Studien zeigen. Gerade älteren Menschen mit verringerter Mobilität ist diese Möglichkeit oftmals verwehrt. Das unmittelbare Wohnumfeld und der Blick aus dem Fenster stellen für sie die häufigsten Berührungspunkte mit Stadtlandschaften dar. Welches jedoch die spezifischen Merkmale der Stadtlandschaft sind, die in Bezug auf mentale Gesundheit salutogen wirken können, ist bis dato nicht ausreichend differenziert erforscht.

Auf diesem neuen Terrain bewegt sich eine Juniorforschungsgruppe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, UKE, die im Rahmen des Programms "Gesunde Orte – Therapeutische Landschaften" der Peter Beate Heller-Stiftung gefördert wird.

Hamburger Forschungsgruppe Alternde Gesellschaft und Urbanisiernung
Foto: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Die Arbeitsgruppe um Dr. Leonie Ascone Michelis (re.) untersucht Hirnscans der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer.

 
Sie wollen untersuchen, welche Merkmale von Stadtlandschaften sich auf die psychische Gesundheit und geistige Leistungsfähigkeit auswirken. Wie gehen Sie vor?

Dr. phil. Leonie Ascone Michelis (Postdoc, Leiterin der Juniorforschungsgruppe): Wir verfolgen einen Ansatz auf mehreren Ebenen. Zum einen wollen wir anhand von Daten einer großen, repräsentativen Stichprobe der Hamburg City Health-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf günstigere und weniger günstige Kompositionen von Stadtlandschaftsmerkmalen für die psychische Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner identifizieren. Zum anderen prüfen wir Zusammenhänge dieser Umweltvariablen mit Hirnscans der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer. Hierdurch können wir modellieren, wie sich das Leben in einer bestimmten Stadtlandschaft auf neuronale Strukturen auswirkt. Da Menschen heutzutage den Großteil ihrer Zeit in Innenräumen verbringen, werden wir uns außerdem mit der Komposition von Fensterblicken beschäftigen und auch experimentell prüfen, ob die Befindlichkeit von Probandinnen und Probanden durch "optimierte" virtuelle Fensterblicke, etwa mithilfe virtueller Realität oder mit großen Bildern, positiv beeinflusst werden kann.

Als Umweltneurowissenschaftlerin interessiert Sie, wie das Erleben von Natur das Gehirn beeinflusst. Wie erfassen Sie diese Veränderungen?

Prof. Simone Kühn (Mentorin Umweltneurowissenschaften): Um besser zu verstehen, welche Spuren die physikalische Umwelt im Gehirn hinterlässt, nutzen wir die Magnetresonanztomographie (MRT). Probandinnen und Probanden kommen zum Beispiel vor oder nach einem Parkspaziergang oder dem Flanieren in einer Einkaufsstraße in ein MRT. Im Hirnscan lassen sich dann sehr schön Effekte erkennen, die zeigen, dass das menschliche Stressempfinden und der Stressumgang umgebungsabhängig sind. Ablesen können wir das etwa an der Aktivierung der für Emotionen zuständigen Amygdala. Hier haben wir eine Verbesserung des Stressumgangs nach naturnahen Aufenthalten der Probandinnen und Probanden entdeckt. Zusätzlich helfen virtuelle Erlebnisse über eine VR-Brille herauszufinden, welche Faktoren zur wohltuenden Wirkung der Natur beitragen. Ist es das Grün der Bäume, das Blau des Himmels, sind es Gerüche, Naturgeräusche oder der Gesamteindruck. Von Vorteil ist hierbei die gezielte Manipulation der Sinneseindrücke in der virtuellen Realität.

Es scheint klar zu sein, dass das Erleben von Natur positiv wirkt. Aber welche Landschaftselemente sind in besonderer Weise für salutogene bzw. pathogene Effekte verantwortlich?

Marie Sander (Doktorandin): Studien zeigen, dass bestimmte Landschaften allgemein eine positive Wirkung auf Menschen haben können, sogenannte "therapeutischen Landschaften". Sie belegen die positive Auswirkung von natürlichen Elementen wie Grünflächen oder Gewässern und die negativen Auswirkungen dichter Bebauungen und Straßen auf die mentale Gesundheit. Doch uns ist aufgefallen, dass es hier noch Lücken gibt: Welche Art von Grünflächen haben eine besonders salutogene Wirkung? Eher Wälder oder Wiesen? Welchen Einfluss hat dabei die Artenvielfalt der Pflanzen oder das Alter von Bäumen? Welche Bebauungsstrukturen wirken sich eher negativ und welche vielleicht auch positiv auf die mentale Gesundheit aus? Genau zu diesen Forschungslücken extrahieren wir gezielt Geodaten im Umfeld der Wohnadressen der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer. Wir erhoffen uns dadurch ein differenzierteres und vollständigeres Bild von visuellen Wohnumgebungsmerkmalen und deren Auswirkung auf die mentale Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner.

Ältere Frau beim Spaziergang im Park (Foto: Lisa Fotios/Pexels)
Foto: Lisa Fotios/Pexels
Das Erleben von Natur hat positive Effekte auf die Gesundheit.

 
Sie interessieren sich dafür, was ein Blick aus dem Fenster auf unterschiedliche Stadtlandschaften bei Menschen bewirkt. Was genau würden Sie gerne im Zuge ihrer Forschung herausfinden?

Larissa Samaan (Doktorandin): Schon 1984 zeigte eine einflussreiche Studie aus den USA, dass sich Patientinnen und Patienten mit einem Fensterblick auf Bäume nach einer Gallenblasenoperation rascher erholten und weniger Schmerzmittel benötigten als solche, die auf eine Mauer blickten. Da gerade ältere Menschen sich überwiegend zu Hause aufhalten, stellt sich für uns die Frage, inwiefern der Ausblick auf die Stadtlandschaft ihr Wohlbefinden sowie ihre kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussen kann. Ich werde analysieren, welche visuellen Merkmale des Fensterblicks mit positiven und negativen Effekten auf körperlicher und psychischer Ebene zusammenhängen: Sind es eher das bewusste Wahrnehmen und Kategorisieren der Elemente des Fensterblicks zum Beispiel "natürlich" oder "menschengemacht"? Oder sind es die unbewusst wahrgenommenen sogenannten "low level features", die Natürliches von Menschengemachtem unterscheiden, wie etwa bestimmte Symmetrien, Muster und Farben wie Blau und Grün?

PD Dr. Jobst Augustin (Mentor Gesundheitsgeografie): Leider hat nicht jeder Mensch das Glück, bewegungsfähig zu sein und im Freien agieren zu können. Insbesondere betagtere oder pflegebedürftige Personen halten sich die meiste Zeit im Gebäudeinneren auf. Aus diesem Grund ist es von höchster Priorität, dass das Rauminnere so salutogen wie möglich gestaltet wird. Dies gilt insbesondere, wenn die vorherrschenden Gegebenheiten keinen ansprechenden Fensterblick ermöglichen. Die Ergebnisse unserer Forschung könnten beispielweise zukünftig zur Erstellung virtueller Fenster, also großformatigen Drucken mit Fensterrahmen ähnlichen Bilderrahmen, genutzt werden. Diese können in Seniorenwohneinrichtungen aufgehängt werden und so hoffentlich einen kleinen Beitrag zu einer angenehmeren Raumgestaltung leisten. Ebenso können die differenzierteren Ergebnisse der Arbeitsgruppe zur Stadtlandschaft wichtige Hinweise liefern, wie zukünftige Anlagen und Wohnumfelder gestaltet sein sollten, um die mentale Gesundheit zu fördern.

DAS FORSCHUNGSTEAM

Dr. Leonie Ascone Michelis, Prof. Dr. Simone Kühn, PD. Dr. Jobst Augustin sowie die Doktorandinnen Marie Sander und Larissa Samaan befassen sich am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf mit der interdisziplinären Erforschung der Effekte von Stadtlandschaft und von naturnahen Fensterblicken auf die alternde Gesellschaft. Sie haben Ende 2022 eine dreieinhalbjährige Förderung der Peter Beate Heller-Stiftung erhalten. Mit dem 2018 erstmalig aufgelegten Programm "Gesunde Orte – Therapeutische Landschaften" soll Forschung zu den Einflüssen von Landschaften auf die physische, psychische und soziale Gesundheit unterstützt sowie ein interdisziplinärer Dialog angeregt werden.