Sie wollen untersuchen, welche Merkmale von Stadtlandschaften sich auf die psychische Gesundheit und geistige Leistungsfähigkeit auswirken. Wie gehen Sie vor?
Dr. phil. Leonie Ascone Michelis (Postdoc, Leiterin der Juniorforschungsgruppe): Wir verfolgen einen Ansatz auf mehreren Ebenen. Zum einen wollen wir anhand von Daten einer großen, repräsentativen Stichprobe der Hamburg City Health-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf günstigere und weniger günstige Kompositionen von Stadtlandschaftsmerkmalen für die psychische Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner identifizieren. Zum anderen prüfen wir Zusammenhänge dieser Umweltvariablen mit Hirnscans der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer. Hierdurch können wir modellieren, wie sich das Leben in einer bestimmten Stadtlandschaft auf neuronale Strukturen auswirkt. Da Menschen heutzutage den Großteil ihrer Zeit in Innenräumen verbringen, werden wir uns außerdem mit der Komposition von Fensterblicken beschäftigen und auch experimentell prüfen, ob die Befindlichkeit von Probandinnen und Probanden durch "optimierte" virtuelle Fensterblicke, etwa mithilfe virtueller Realität oder mit großen Bildern, positiv beeinflusst werden kann.
Als Umweltneurowissenschaftlerin interessiert Sie, wie das Erleben von Natur das Gehirn beeinflusst. Wie erfassen Sie diese Veränderungen?
Prof. Simone Kühn (Mentorin Umweltneurowissenschaften): Um besser zu verstehen, welche Spuren die physikalische Umwelt im Gehirn hinterlässt, nutzen wir die Magnetresonanztomographie (MRT). Probandinnen und Probanden kommen zum Beispiel vor oder nach einem Parkspaziergang oder dem Flanieren in einer Einkaufsstraße in ein MRT. Im Hirnscan lassen sich dann sehr schön Effekte erkennen, die zeigen, dass das menschliche Stressempfinden und der Stressumgang umgebungsabhängig sind. Ablesen können wir das etwa an der Aktivierung der für Emotionen zuständigen Amygdala. Hier haben wir eine Verbesserung des Stressumgangs nach naturnahen Aufenthalten der Probandinnen und Probanden entdeckt. Zusätzlich helfen virtuelle Erlebnisse über eine VR-Brille herauszufinden, welche Faktoren zur wohltuenden Wirkung der Natur beitragen. Ist es das Grün der Bäume, das Blau des Himmels, sind es Gerüche, Naturgeräusche oder der Gesamteindruck. Von Vorteil ist hierbei die gezielte Manipulation der Sinneseindrücke in der virtuellen Realität.
Es scheint klar zu sein, dass das Erleben von Natur positiv wirkt. Aber welche Landschaftselemente sind in besonderer Weise für salutogene bzw. pathogene Effekte verantwortlich?
Marie Sander (Doktorandin): Studien zeigen, dass bestimmte Landschaften allgemein eine positive Wirkung auf Menschen haben können, sogenannte "therapeutischen Landschaften". Sie belegen die positive Auswirkung von natürlichen Elementen wie Grünflächen oder Gewässern und die negativen Auswirkungen dichter Bebauungen und Straßen auf die mentale Gesundheit. Doch uns ist aufgefallen, dass es hier noch Lücken gibt: Welche Art von Grünflächen haben eine besonders salutogene Wirkung? Eher Wälder oder Wiesen? Welchen Einfluss hat dabei die Artenvielfalt der Pflanzen oder das Alter von Bäumen? Welche Bebauungsstrukturen wirken sich eher negativ und welche vielleicht auch positiv auf die mentale Gesundheit aus? Genau zu diesen Forschungslücken extrahieren wir gezielt Geodaten im Umfeld der Wohnadressen der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer. Wir erhoffen uns dadurch ein differenzierteres und vollständigeres Bild von visuellen Wohnumgebungsmerkmalen und deren Auswirkung auf die mentale Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner.