14.08.2024
Fünf Fragen an die Biodiversitätsforscherin Kirtana Kumar zur Ausrottungskampagne invasiver Arten auf der Galapagos-Insel Floreana
Ob Piraten, englische Walfänger oder Strafgefangene der ecuadorianischen Regierung – die Galapagos-Insel Floreana hat schon einige geschichtsträchtige Ereignisse überdauert. Doch die in den letzten zwei Jahrhunderten durch den Menschen eingeführten invasiven Weide- und Raubsäugetiere stellen nun eine ernsthafte Bedrohung des gesamten Ökosystems dar. Die Vegetation der Insel ist so stark geschädigt, dass bereits mehrere lokale Arten – darunter auch die Floreana-Riesenschildkröte – ausgestorben sind.
Um dem entgegenzuwirken und zur Wiederherstellung des Ökosystems der Insel beizutragen, wurde im November 2023 eine groß angelegte Ausrottungskampagne gestartet. Mit dem Gift Brodifacoum sollen die invasiven Arten beseitigt und damit die Grundlage für die Wiederansiedlung von 13 lokal ausgestorbenen einheimischen Arten geschaffen werden. Eine extreme Maßnahme mit negativen Begleiteffekten, die Thema des Promotionsprojektes von Kirtana Kumar unter der Supervision von Prof. Dr. Jörg Müller, Dr. Martin Schäfer und Dr. Ralf Schulz ist. Gefördert wird sie durch die Zempelin-Stiftung im Stifterverband.
Bei der Vorstellung, dass zur Wiederherstellung eines Ökosystems zunächst eine Vergiftung von vielen Lebewesen erfolgen muss, wird man stutzig. Wieso greift man zu einer derart extremen Maßnahme?
Inseln gelten mit ihren einzigartigen Lebewesen, hoher Artenvielfalt und großen Anzahl an kritisch bedrohten Arten als eine der wichtigsten Ökosysteme der Erde. Leider sind diese so schützenswerten Ökosysteme besonders anfällig für durch den Menschen eingeführte invasive Arten wie Ratten und verwilderte Katzen. Die einheimischen Arten entwickelten sich ohne die Anwesenheit von Raubsäugetieren, und das Aussterberisiko ist aufgrund ihrer geringen Populationsgröße verschärft. Da der durch den Artenverlust resultierende Kaskadeneffekt schwerwiegende ökologische und sozioökonomische Auswirkungen haben kann, ist die Minderung der Auswirkungen invasiver Arten heute eine globale Aufgabe. Hier zeigt sich, dass die Ausrottung der invasiven Arten die langfristig wirksamste Maßnahme ist, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und schlussendlich umkehren zu können.
Die Ausrottungskampagne startete im November vergangenen Jahres. Können Sie uns den Prozess der Ausrottung erläutern – und gibt es auch Kritik an dieser Vorgehensweise?
Die Ausrottung der eingeschleppten Arten auf Floreana erfolgte durch eine groß angelegte Brodifacoum-Vergiftung. Als hochwirksames Gift gegen Säugetiere beeinträchtigt Brodifacoum die Blutgerinnung, schädigt die Blutgefäße und führt letztendlich zum Verbluten des Vergiftungsopfers. In der Tat kann das Ganze auch Schattenseiten haben. Bislang bestehen Unklarheiten über den Abbau des Gifts und seine Übertragung auf das Ökosystem. Denn Brodifacoum kann sich in der Umwelt anreichern, so dass auch einheimische Vögel und Reptilien dem Gift ungewollt zum Opfer fallen. Auch der Verzehr vergifteter Tiere stellt ein großes Risiko für einheimische Arten dar. Davon ganz abzusehen, welche verborgenen Auswirkungen der Einsatz von Brodifacoum haben kann.
Wie geht es nach der Ausrottung der invasiven Arten durch den Menschen weiter?
Im Anschluss werden 13 lokal ausgestorbene Arten wieder angesiedelt, darunter auch die Floreana-Spottdrosseln, die Galapagos-Schleiereule, der Galapagos-Falke und die Floreana-Rasselnatter. In diesem Zusammenhang ist die Überwachung der Reaktion der Floreana-Lavaeidechse auf die Ausrottung für den Erhalt des Ökosystems der Insel wichtig. Für in der Nahrungskette höherstehende Raubtiere stellt die Floreana-Lavaeidechse ein häufiges Futtermittel dar. Durch die Ausrottung invasiver Arten verringert sich der Druck auf diese Echsen, wodurch ihr Populationswachstum gefördert werden sollte. Dadurch verändert sich auch die Struktur des Nahrungsnetzes auf Floreana, wovon der Erfolg der Wiederansiedlung einheimischer Raubtiere abhängt.
Die Zempelin-Stiftung unterstützt Ihr Promotionsprojekt. Welche Ziele würde Sie gerne erreichen und wie gehen Sie dabei vor?
In Kooperation mit der ecuadorianischen Umweltorganisation Fundación de Conservación Jocotoco wollen wir die Reaktion der Lavaeidechsenpopulation auf die Beseitigung der invasiven Arten mit Brodifacoum überwachen. Das machen wir unter anderem durch den Vergleich der Population vor und nach der Ausrottung sowie im Vergleich zu anderen Galapagos-Inseln. Dies soll die Grundlage für Entscheidungen zum Schutzmanagement für künftige Wiederansiedlungen geben. Außerdem möchten wir die Belastung einheimischer Arten mit Gift-Rückständen untersuchen. Zum Beispiel Reptilien, die nicht so empfindlich auf Brodifacoum reagieren, können zu fatalen Überträgern werden, da sie giftige Rückstände mit sich führen können, die bei anderen Wildtieren, zum Beispiel Raubvögeln, zu Todesfällen führen. Dadurch könnte die Wiederansiedlung von Arten gefährdet werden.
Denken Sie, dass die Erkenntnisse aus Ihrem Promotionsprojekt auch bei der Wiederherstellung von anderen Ökosystemen bedeutend sein können?
Auf jeden Fall! Floreana ist leider nicht die einzige Insel, auf die der Mensch invasive Arten eingebracht hat, welche nun diese so schützenswerten Ökosysteme bedrohen. Da die effektivste Maßnahme gegen den unerwünschten Verlust einheimischer Arten die Ausrottung der fremden Spezies unter anderem mit großangelegten Vergiftungen ist, ist es umso wichtiger, die Risiken und Konsequenzen für die Natur zu kennen, welche mit dem Einsatz solch tödlicher Giftstoffe einhergeht. Die Einblicke, die unsere Forschungsarbeit über den Abbau oder die Akkumulation von Brodifacoum in der Umwelt und den Einfluss auf Reptilienpopulationen und ihre jeweiligen Nahrungsnetze liefert, können für zukünftig geplante Ausrottungen und Wiederansiedlungen auf weiteren Galapagos-Inseln, aber auch weltweit genutzt werden. So kann hoffentlich der durch den Menschen verursachte Schaden erfolgreich gemindert werden.
DAS FORSCHUNGSTEAM
Kirtana Kumar beschäftigt sich im Zuge ihrer Doktorarbeit mit der Wiederherstellung des Ökosystems von Floreana unter der Betreuung von Prof. Dr. Jörg Müller von der Universität Würzburg, Dr. Martin Schaefer von Fundación Jocotoco und Dr. Ralf Schulz von der Universität Koblenz-Landau. Unterstützt wird das Promotionsprojekt von der im Jahre 1993 durch Liselotte und Dr. Hans Günther Zempelin errichteten Zempelin-Stiftung. Die Stiftung engagiert sich für Wissenschaft und Forschung sowie für Bildungsprojekte.