Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes Alle Seiten

Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes

Aktuelles aus den Stiftungen

Carstens-Stiftung: 1,4 Millionen Euro für vier weitere Habilitationen

17.02.2025

Mit ihrem Habilitationsprogramm möchte die Carstens-Stiftung Erkenntnisse zur Prävention und Behandlung von Zivilisationskrankheiten gewinnen und gleichzeitig die Nachwuchslücke in der Komplementär- und Integrativmedizin (KIM) schließen. Mit rund 1,4 Millionen Euro werden nun vier weitere Habilitationsprojekte gefördert. Im Fokus stehen Lebensstilmodifikationen bei Schmerzen, Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in der Chirurgie, Mind-Body-Medizin zur Sekundärprävention nach Herzinfarkt und Fasten in der Parodontitisbehandlung.

Lebensstilmodifikation zur Therapie chronischer Schmerzen

Muskuloskelettale Schmerzen, zum Beispiel im Rücken, Nacken oder in Gelenken, gehören zu den weltweit am häufigsten auftretenden Gesundheitsproblemen. Die Ursachen sind vielschichtig und umfassen traumatische, degenerative, entzündliche, genetische sowie psychosoziale Faktoren. Konventionelle Schmerzmittel bekämpfen lediglich das Symptom und bergen das Risiko einer Abhängigkeit. Die Prävention und angemessene Behandlung dieser Schmerzen erfordern daher einen interdisziplinären Ansatz, der Strategien jenseits von Opioiden einschließt und gleichermaßen körperliche, psychische sowie soziale Aspekte berücksichtigt.

Dr. Dennis Anheyer, Universitätsklinikum Tübingen, verfolgt einen solchen Ansatz. Sein Habilitationsprojekt beinhaltet drei Teile. Zum einen soll untersucht werden, was die Langzeit-Effekte von Yoga und Meditation bei Arthritis und Rückenschmerzen sowie schmerzassoziierten Erkrankungen (Stress, Angst, Depression) sind. Hierzu werden Daten aus der Australian Longitudinal Study on Women’s Health (ALSWH) ausgewertet – Daten von ca. 57.000 Befragten, die aus einem Zeitraum von 20 Jahren vorliegen.

Zum anderen ist ein Cochrane-Review zur Wirksamkeit von Mindfulness-based Stress-reduction (MBSR) bei chronischen Rückenschmerzen geplant. Ziel ist es hier, die vorhandene Evidenz zur Wirksamkeit zu sichten und kritisch zu bewerten, sowohl hinsichtlich kurzfristiger (nach acht Wochen) als auch langfristiger (nach sechs Monaten) Effekte auf die Schmerzen und die Lebensqualität. Es handelt sich um den weltweit ersten Cochrane-Review zu diesem Thema, so dass ein bedeutsamer Einfluss auf die nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz sowie auf internationale Leitlinien zu erwarten ist.

Schließlich vergleicht eine dreiarmige randomisiert-kontrollierte Studie das Praktizieren von Yoga mit der standardisierten Krankengymnastik bei chronischen Nackenschmerzen. Die Dauer der Interventionen pro Patient beträgt zwölf Wochen. In der dritten Gruppe wird es zunächst keine körperliche Intervention geben (Wartelistegruppe), in allen Gruppen erhalten die Patientinnen und Patienten allerdings Ratschläge zur Selbstbehandlung ihrer Nackenschmerzen und Ibuprofen als Notfallmedikation. Geplant sind sowohl eine Kosten-Effektivitäts-Analyse als auch eine Kosten-Nutzwert-Analyse. Die Nachbeobachtungszeit liegt bei einem Jahr, so dass auch hier Aussagen zur Langzeit-Wirkung möglich werden.

 

TCM in der perioperativen Chirurgie

Ein Bereich, in dem die Linderung von Schmerzen ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt, ist die Chirurgie. Neben dem PONV-Syndrom – Übelkeit und Erbrechen nach einem Eingriff – sind vor allem postoperative Schmerzen für die Betroffenen stark belastend. Noch dazu erhöhen sie die Dauer der Überwachungszeit im Aufwachraum, stehen einer frühen Entlassung und damit schnellen Rückkehr in das eigene Zuhause entgegen. Maßnahmen der TCM könnten nicht nur hier Linderung verschaffen – sondern sich sogar bereits im Vorfeld einer OP positiv auswirken.

Dr. Erfan Ghanad, Universitätsmedizin Mannheim, prüft den Einsatz der TCM in allen Phasen chirurgischer Eingriffe. Insgesamt sind sechs Studien geplant. Zwei davon entfallen auf die präoperative Phase. Bei "präOPQi" handelt es sich um eine zweiarmige explorative randomisierte Studie, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entweder über einen Zeitraum von drei Wochen vor einem geplanten abdominalchirurgischen Eingriff in Qi Gong (Meditationsübungen) unterwiesen werden oder die Standardversorgung erhalten.

"pACOP" ist hingegen dreiarmig und prüft den Einsatz von Akupunktur. Eine Gruppe erhält einen Tag vor der OP Akupunktur, die zweite Gruppe erhält eine Scheinakupunktur und die dritte Gruppe die Standardversorgung. In beiden Studien soll vornehmlich der Einfluss der Interventionen auf den Stresslevel bzw. die Angst vor dem Eingriff erfasst werden. Ein geringerer Stresslevel wirkt sich positiv auf die Prognose aus.

In "ThorACU" kommt die Akupunktur hingegen in der intraoperativen Phase zum Einsatz, als Ergänzung zur Anästhesie. Die Hypothese ist, dass die Kombination Schmerzen stärker reduziert, als die Anästhesie allein. Während und nach der Operation erfolgt daher eine engmaschige Überwachung der Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Schmerzmittelvergabe sowie des individuellen Schmerzniveaus.

Die anderen drei Studien konzentrieren sich auf die postoperative Phase. Im Rahmen der Pilotstudie „PAINPAR“ soll die Effektivität zweier unterschiedlicher Akupunkturkonzepte auf die Schmerzen nach Pankreasresektion untersucht werden. Verglichen werden klassische Akupunktur und semipermanente Dauernadeln, eine dritte Gruppe erhält die Standardtherapie. Die Akupunktur erfolgt bereits am zweiten Tag nach dem Eingriff und wird bis zum siebten Tag fortgeführt.

In der Pilotstudie "APOSTT" erfolgt die Evaluation des Akupunktur-Einflusses auf den Schmerz und die postoperative Regeneration nach Resektion von Weichteiltumoren der Extremitäten.

Bei "APONVA" handelt es sich schließlich um eine fünfarmige randomisiert-kontrollierte Studie, die sich mit dem PONV-Syndrom befasst. Hier werden verschiedene Akupunkturregime, die sich zur Linderung von postoperativer Übelkeit und Erbrechen bereits bewährt haben, in ihrer Effektivität miteinander verglichen, um Empfehlungen für die Praxis ableiten zu können: Akupunkturarmband (Pc6), Akupunktur (Pc6), Körperakupunktur sowie Ohr-Akupunktur in Kombination mit Akupunktur (Pc6). Als Kontrolle dient die Standardversorgung.

 

Mind-Body-Medizin in der Sekundärprävention nach Herzinfarkt

Seit Jahrzehnten liegen Herzkreislauferkrankungen (Cardiovascular Diseases, CVD) weltweit auf Platz eins der Statistik der Todesfälle. Lebensstilmodifikationen können das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses bis zu 90 Prozent reduzieren, bisherige Programme legen ihren Fokus dabei jedoch auf Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten Risiko für CVD – nicht auf solche, die bereits einen Herzinfarkt erlitten haben.

Dr. Wiebke Kohl-Heckl, Evangelische Kliniken Essen-Mitte, möchte mit ihrem zweiteiligen Habilitationsprojekt diese Forschungslücke schließen. Zunächst ist eine Umfrage mit Patientinnen und Patienten des Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrums des Universitätsklinikums Essen geplant, bei denen ein Stent eingesetzt werden musste. Erfasst werden dabei der Lebensstil mit eventuellen Risikofaktoren (Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum), die Medikation, Ausgeprägtheit von Angst und Depressivität, die allgemeine Lebensqualität, die körperliche Belastbarkeit und die jeweilige Veränderungsbereitschaft. Anhand dieser Daten soll ermittelt werden, wie das Gesundheitsverhalten vor dem kardiovaskulären Notfall war und welche Aspekte dazu beitragen könnten, die Sekundärprävention zu erleichtern und zu festigen, damit das Auftreten eines weiteren Infarktes möglichst vermieden wird. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen dann in den zweiten Teil des Projektes.

Geplant ist hier eine zweiarmige randomisiert-kontrollierte Studie zur Lebensstilmodifikation mit insgesamt 112 Patientinnen und Patienten (56 je Gruppe), die vor mindestens sechs bis maximal 18 Monaten einen Herzinfarkt erlitten haben. Die Interventionsgruppe absolviert ein 20-wöchiges Komplexprogramm, das auf Maßnahmen der Naturheilkunde und Mind-Body-Medizin basiert. Inhaltlich liegt der Fokus auf Bewegungstherapie, Ernährungstherapie, Entspannungstherapie, Informationsvermittlung und kognitiver Umstrukturierung. Durch ein multidisziplinäres Team sollen den Teilnehmerinnen und Teilnehmer Selbsthilfestrategien vermittelt werden. Dabei kommen sowohl Präsenz-Termine und Online-Schulungen, als auch eigenständig zu Hause durchzuführende Übungen zum Einsatz. Mittels Übungstagebüchern und Gamification-Elementen soll die Motivation gefördert und aufrechterhalten werden. Die Kontrollgruppe erhält hingegen Zugang zu einem Online-basierten (Selbstlern-)Modul zur Unterstützung der Umsetzung von Sekundärprävention. Primär soll die Auswirkung auf die Lebensqualität nach sechs und neun Monaten analysiert werden, aber auch physische Parameter wie Blutdruck oder Stressmarker – Risikofaktoren für das erneute Auftreten eines Infarktes – werden erfasst. Abgerundet wird dieses Teilprojekt durch eine qualitative Befragung, um das Komplexprogramm in Zukunft weiter zu verbessern sowie Analysen des Mikrobioms/der Darmflora zur Auswertung der Umsetzung von Ernährungsveränderungen.

 

Fasten in der Parodontitisbehandlung

Parodontitis ist eine komplexe Entzündungserkrankung, die weltweit in schwerer Form zu den sechs häufigsten chronischen nicht-ansteckenden Erkrankungen zählt und unbehandelt zu Zahnverlust führt. Darüber hinaus begünstigt sie allerdings auch andere chronische und akute systemische Erkrankungen. So sind Zusammenhänge zwischen Parodontalerkrankungen und Diabetes, Adipositas und Autoimmunerkrankungen bekannt. Die Standardtherapie von Parodontitis sieht die Entfernung des Biofilms von den Zahnwurzeloberflächen vor und ist damit überwiegend lokal und symptomatisch ausgerichtet, während gesunde Ernährungsweisen weniger adressiert werden. Studien, die Fasten als unterstützende Therapieform im Rahmen einer Parodontitisbehandlung untersuchen, fehlen bisher gänzlich.

Dr. Christina Pappe, Universitätsklinikum Leipzig, möchte nun klären, ob verschiedene Fasteninterventionen verglichen mit der Standardtherapie an unterschiedlichen Punkten der Parodontitistherapie zu zusätzlichen Effekten führen. Mit drei klinischen Studien soll evaluiert werden, wie Fasten sich kurzfristig auf parodontale Heilungs- bzw. Regenerationsprozesse im Rahmen der ersten subgingivalen Instrumentierung (Studie 1), nach operativen Eingriffen (Studie 2) und längerfristig über zwei Jahre während der unterstützenden Erhaltungsphase (Studie 3) auswirkt. In den Studien 1 und 2 soll das Fasten in seiner prolongierten Form, in Studie 3 verschiedene Fastenformen (intermittierendes Fasten, kommerzielle Fastenbox) evaluiert werden.

Die Hypothese für Studie 1 lautet: Fasten in Kombination mit der subgingivalen Instrumentierung (Stufe 1-2) führt verglichen mit der alleinigen Instrumentierung zu besseren parodontalen Parametern (Blutung) nach drei und sechs Monaten. Das Fasten wird hier für fünf Tage vor der Parodontitistherapie zum Einsatz kommen.

Die Hypothese für Studie 2 lautet: Fasten in Kombination mit resektiven parodontal-chirurgischen Eingriffen (Stufe 3) führt zu verbesserter Wundheilung nach einem Tag, drei Tagen, sieben Tagen und nach drei Monaten verglichen mit einer Kontrollgruppe, die nicht fastet. Da von geschlechterspezifischen Effekten beim Fasten und in der Wundheilung ausgegangen wird, sollen Männer und Frauen zu gleichen Anteilen rekrutiert werden.

Die Hypothese für Studie 3 lautet: Wiederholtes Fasten nach der ersten Stufe im Rahmen der unterstützenden Parodontitistherapie (Stufe 4) führt nach sechs Monaten, einem Jahr und zwei Jahren zu besseren parodontalen Parametern (Blutung) verglichen mit einer Kontrollgruppe ohne Fastenintervention. Ziel ist es, zukünftig einfach zugängliche Formen des Fastens für ein größeres Patientenkollektiv anbieten zu können.

Die Dauer aller vier Habilitationsprojekte ist auf drei Jahre ausgelegt.

 

Die gemeinnützige Karl und Veronica Carstens-Stiftung wurde 1981 vom damaligen Bundespräsidenten und seiner Ehefrau gegründet. 40 Jahre nach ihrer Gründung ist die Carstens-Stiftung eine bedeutende Wissenschaftsorganisation auf dem Gebiet der Naturheilkunde und Komplementärmedizin und hat mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro über 300 Forschungsprojekte unterstützt. Sie setzt sich für die Verankerung von Naturheilkunde und Komplementärmedizin in der medizinischen Forschung und Patientenversorgung ein. Hauptaufgaben sind die Förderung wissenschaftlicher Forschung und des medizinischen Nachwuchses sowie die fundierte Aufklärung über Anwendung und Nutzen naturheilkundlicher und komplementärmedizinischer Verfahren.

Pressekontakt

Michèl Gehrke

Pressesprecher
Karl und Veronica Carstens-Stiftung
Am Deimelsberg 36
45276 Essen

T 0201 56305-61
F 0201 56305-30

E-Mail senden