Dr. Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Kabarettist, Buchautor, Journalist, Moderator und Stifter. Er ist im wahrsten Sinne engagiert. Wir haben mit ihm gesprochen, um zu erfahren, was er mit seinem Stiftungsengagement konkret erreichen möchte, welche Rolle seines Erachtens nach Stiftungen im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen können und wie er bei all den großen Herausforderungen seinen Humor behält.
Herr Dr. von Hirschhausen, denke ich an unsere Zukunft, bekomme ich Kopfschmerzen. Was können Sie mir empfehlen?
Als Therapeut gesprochen: den Schmerz zulassen! Wer über den aktuellen Stand der Welt nicht ein bisschen verrückt wird, ist nicht normal. Als Arzt wurmt mich, dass wir in den großen Zukunftsfragen nicht die wichtige und richtige Reihenfolge einhalten: Erst die Diagnose klären, dann reden wir über Therapiemaßnahmen. Wenn Sie glauben, Sie haben einen Spannungskopfschmerz, der mit Aspirin weg geht, und ich verordne ihnen Chemo, würden Sie mich für bekloppt halten und sich einen anderen Arzt suchen. Erst wenn ich Ihnen gesagt hätte, Sie haben etwas Ernstes, würden Sie verstehen, warum auch die Gegenmaßnahmen radikaler sein müssen.
Das heißt, wir sehen die Katastrophe, handeln aber nicht? Engagieren Sie sich darum für die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Developement Goals – SDG) der Vereinten Nationen, die auch das Deutsche Stiftungszentrum verfolgt?
Als Mediziner liegt mir unsere Gesundheit besonders am Herzen. Daher habe ich mich der Ursachenbekämpfung verschrieben und bin Botschafter für die SDGs in Deutschland. Die SDGs sind wichtig, weil wir nur noch wenige Jahre Zeit haben, die Lebensbedingungen erträglich für alle zu gestalten. Die Klimakrise, das Artensterben und die aktuelle COVID-19-Pandemie hängen sehr eng miteinander zusammen. Wenn wir Krankheiten zukünftig verhindern wollen, ist eine zwingende Maßnahme, jetzt endlich den Wildtierhandel weltweit zu stoppen, um Übertragungen von Tieren auf Menschen zu verhindern. Viren machen keinen Halt vor Artengrenzen noch vor Landesgrenzen.
Sie haben bereits zwei Stiftungen gegründet: "HUMOR HILFT HEILEN" und "Gesunde Erde – Gesunde Menschen". Die Stiftungsarbeit zusammen mit Ihrem Engagement für die SDGs und Ihrer Bühnentätigkeit ist sicher sehr beanspruchend. Wie halten Sie sich als Stiftungsgründer seelisch gesund?
Bei "HUMOR HILFT HEILEN" und bei "Gesunde Erde – Gesunde Menschen" versuche ich aktiv zu werden, denn das hilft enorm gegen das Gefühl von Ohnmacht. Ich habe tolle Mitarbeiter, Kooperationspartner, und gemeinsam bewegen wir etwas, bohren kleine Löcher in dicke Bretter. Wir haben viel zu lange Verantwortung für Veränderung individualisiert, für seine Gesundheit war jeder selber verantwortlich, und gegen den Klimawandel sollte der Verzicht auf Plastiktüten helfen. Dabei gibt es Gesundheit nur in einer gesunden Umgebung, weder die Viren im Umlauf noch die Schadstoffe in der Luft regelt "der Markt" – sondern gemeinwohlorientiertes politisches Handeln. Da lerne ich gerade viel dazu. Ich selber habe eine Bahncard 100, um Flüge zu meiden, aber damit Zugfahren günstiger und bequemer wird als innerdeutsch zu fliegen, braucht es politische Entscheidung. Daher hilft mir nicht nur, auf meinen Fußabdruck zu schauen, der viel zu groß ist, sondern auf den "Handabdruck". Wo kann ich zusammen mit anderen etwas in Bewegung bringen? Stiftungen sind das "venture capital" der Zivilgesellschaft. Und Vermögen bedeutet nicht nur Geld – sondern man "vermag" etwas zu bewegen.
Sie gelten als Erfinder des medizinischen Kabaretts. Nun ist die Medizin ja auch Heimat vieler Tragödien. Warum lachen wir so gerne über das unausweichlich Schlimme?
Von Karl Valentin stammt der weise Satz: Wenn es regnet, freue ich mich. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. Humor ist überhaupt nichts Oberflächliches, sondern das tiefe Einverständnis in die Widersprüchlichkeit, in die Absurdität und die unauflösbaren Rätsel unserer Existenz. Der Humor wurde uns geschenkt als Ausweg und Trost, damit wir über Dinge, die wir nicht ändern können, nicht verrückt werden oder verzweifeln. Oder wie es in dem wunderschönen jüdischen Sprichwort heißt: "Tränen, die man gelacht hat, muss man nicht mehr weinen."
Der Klimawandel, mit dem Sie sich zurzeit verstärkt beschäftigen, ist eher zum Weinen als zum Lachen. Können Sie über den Klimawandel lachen?
Über den Klimawandel nicht, dafür ist er viel zu ernst. Das heißt aber nicht, dass das Thema keinen Humor braucht oder verträgt! Im Gegenteil – Humor hilft, damit das Ganze nicht so verbiestert rüberkommt. Wenn es zum Beispiel um mehr öffentlichen Verkehr, mehr schnelle Züge, weniger Flüge und weniger Raser auf der Autobahn geht, empfehle ich: "Wer gerne schnell Porsche fährt, Vollgas, freie Strecke und das auch noch emissionsfrei in der Elektro-Variante: wie wäre es mit einer Carrera-Bahn?" Oder: "Wer auf sehr unwegsamem Gelände wohnt, braucht einen SUV. Das kann ich verstehen, wenn man da zwei Tonnen Stahl und die PS von einem Traktor braucht, um voran zu kommen. Aber wenn man dann auf öffentlichen Straßen fährt, sollten die genauso schnell fahren dürfen wie ein Traktor. Mit 25 km/h Höchstgeschwindigkeit erledigt sich das Problem dieser übermotorisierten Schüsseln von alleine!"
Welche Beziehung haben Gesundheit und Klimawandel?
Eine sehr enge, die leider immer noch zu wenig beachtet wird. Die Diskussion um "Umweltschutz" wurde viel zu lange sehr theoretisch geführt. Es gibt keine "Umwelt", sondern eine Mitwelt. Oder haben Sie zuhause Um-Bewohner? Unsere Mutter Erde ist krank, sie hat hohes Fieber, und das steigt weiter. Wir sind als ihre Kinder existenziell darauf angewiesen, dass wir sauberes Wasser haben, saubere Luft, gesundes Essen und eine erträgliche Außentemperatur. Alle diese Dinge, die wir für selbstverständlich hielten, sind es nicht. Der Körper ist ein guter Lehrmeister, uns zu zeigen, wie schnell wir bei einer steigenden Außentemperatur buchstäblich zusammenbrechen. Hitzewellen und Hitzetote sind aber nur eine der vielen Auswirkungen. Mücken, die Tropenkrankheiten übertragen, können sich wieder ansiedeln, Allergien nehmen zu, und die Abgase und insbesondere die kleinen Feinstaubteilchen gehen durch die Lunge direkt ins Blut und tragen zu Herzinfarkt, Schlaganfall und sogar zu Diabetes bei, weil unser Körper sich in einem permanenten Abwehrmechanismus befindet. Wenn wir also über Umweltschutz reden, muss man es einmal deutlich sagen – wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns. Denn gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten!
Die Klima-Frage belastet auch unser gesellschaftliches Klima – sie hat das Potenzial, zu einem neuen Generationenkonflikt zu werden. Sie scheinen eine Rolle als Mittler eingenommen zu haben und wurden als Mitglied der sogenannten Boomer-Generation sogar schon von Fridays for Future eingeladen, um auf einer Aktion zu sprechen. Wie können wir die Generationen an einen Tisch und die verschiedenen Bedürfnisse unter einen Hut bringen?
Ich glaube nicht, dass der Konflikt zwischen den Generationen besteht. Nachhaltigkeit ist keine Erfindung oder Bewegung der Neuzeit, sondern viele ältere Menschen leben völlig selbstverständlich und oft auch unbewusst nachhaltig. Mein Vater zum Beispiel ist der nachhaltigste in unserer Familie. Er ist noch nie in seinem Leben auf die Malediven oder Kanaren geflogen, weil es ihn nicht wegzieht, und während sich gerade Turnschuhhersteller loben, dass sie jetzt Plastik recyceln, hat er immer noch sein eines Paar "Adidas Rekord", die plötzlich wieder voll angesagt sind.
Sie haben aber natürlich recht: Der Klimawandel stellt unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt vor große Herausforderungen. Er macht einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel notwendig – und viele Menschen sehen in diesem Wandel eine Bedrohung, statt die Chancen wahrzunehmen. Viele der Maßnahmen, die wir zum Schutz der Erde und des Klimas ergreifen können, sind nicht nur Verzicht, sondern tragen zu einem gesunden, lebenswerten Alltag bei: eine Verkehrswende und Stadtplanung, die sich an den Bedürfnissen von Menschen und nicht Autos orientiert, eine "grünere" Landwirtschaft und Ernährung, die gut für die eigene Gesundheit und für den Planeten ist, oder auch eine Energiewende, die Deutschland wieder zum Vorreiter in neuen Technologien macht. Wir brauchen positive Zukunftsbilder, um aus der Klimakrise einen Neuanfang zu machen.
Auf der anderen Seite führt der Klimawandel aber auch zusammen: In der Gesellschaft scheint eine große Masse an Menschen wieder verstärkt über ihr Handeln nachzudenken. Wie können Stiftungen davon profitieren?
Indem sie den neu auftauchenden Akteuren auf dem gesellschaftlichen Spielfeld zeigen, dass Stiftungen eine wichtige Funktion im bürgerschaftlichen Engagement und der demokratischen Teilhabe haben. Eine junge, engagierte Generation sucht derzeit nach neuen Wegen der politischen Teilhabe. Stiftungen können da eine Antwort sein.
Sie haben gerade Ihr Klimaengagement den Rahmen einer Stiftung gegeben, warum?
Ich engagiere mich seit zwei Jahren im Kontext "Klimawandel und Gesundheit", zuerst mit "Scientists for Future", dann mit der Allianz "Klimawandel und Gesundheit", mit #healthforfuture und dem Klimastreik an der Charité und mit Vorträgen, vielen Hintergrundgesprächen und persönlichen Netzwerken. Das Feld ist ungemein dynamisch und beruht zu weiten Teilen auf Selbstausbeutung von einzelnen Engagierten in ihrer Freizeit. Damit dies nicht im Burnout mündet, braucht es viel mehr Profis, stabile Finanzierungen und Kommunikation. Die Wissenschaft ist sich einig: Das Leben der Menschen auf der Erde ist existenziell gefährdet. Es gibt ein Zeitfenster von wenigen Jahren, in dem entschieden wird, ob wir dauerhaft und unwiderruflich das Erdsystem überhitzen oder eine enkeltaugliche Welt erschaffen. Wissenschaft alleine verändert kein Verhalten und keine politischen Entscheidungen, die jetzt notwendig sind im wahrsten Sinne – um die Not zu wenden. Deshalb wollen wir dazu beitragen, dass diese notwendige Transformation von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft neues Futter und neuen Schwung bekommt. Dazu braucht es einen neuen "Spirit": überparteilich, kooperativ, generationsübergreifend und mit ansteckend guter Laune. Es gilt, Menschen in der Mitte der Gesellschaft zu begeistern und existierende Netzwerke mit hohem Einfluss für das Thema zu gewinnen. Wir schaffen es gemeinsam oder gar nicht. Wir sind überzeugt von den positiven Kräften in Wissenschaft, Demokratie und einer engagierten Zivilgesellschaft. Und auch wenn die Chancen gerade nicht gutstehen: Wir geben unser Bestes: unsere Zeit, zündende Ideen und unsere Zuversicht!
Im vergangenen Jahr haben sieben einflussreiche Stiftungsakteure einen gemeinsamen Aufruf veröffentlicht, in dem sie die Bundesregierung zu beschleunigtem Handeln beim Klimaschutz und der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) aufforderten. In Deutschland gibt es aber über 22.000 rechtsfähige Stiftungen, Schätzungen zufolge kommen mindestens noch einmal so viele nichtrechtsfähige Stiftungen hinzu. Ist in Ihren Augen das Thema Klimaschutz schon in der Stiftungswelt angekommen? Was können Stiftungen – auch in Abgrenzung zu Unternehmen oder staatlichen Akteuren – konkret besser zum Klimaschutz beitragen?
Stiftungen haben einen Wertekompass: Kulturförderung, Bildung, soziale Gerechtigkeit. Und jeder, der dies hier liest, kann sich fragen, ob sein Stiftungszweck noch erfüllbar, wenn wir das Leben auf der Erde zur Hölle machen, weil wir irreversible Kipppunkte überschritten haben. Wir brauchen keine Panik, aber klare Priorität. Die Klimakrise ist die größte Herausforderung der sich die Menschheit stellen muss. Sie bedroht unsere grundlegendsten Gesundheitsfaktoren: Nahrung, Wasser, Luft und eine sichere Umwelt, die den Schutz vor extremen Wetterereignissen ermöglicht. Diese Dringlichkeit ist vielen Politikern, Bürgern und Stiftern noch nicht klar. Deutschland ist jetzt schon betroffen und wird noch massiv in Mitleidenschaft gezogen werden. Stiftungen können aktuell starke gesellschaftliche Impulse setzen, das staatliche Handeln ergänzen und sind dabei sehr frei, weil sie keine Mehrheiten gewinnen oder Aktionäre zufriedenstellen müssen. Stiftungen dürfen sich mehr trauen! Und beitragen zu einem Diskurs, der lösungsorientiert, humorvoll, verständlich und beseelt ist. Wir brauchen ein "Hin-zu", eine positiven Vision einer gesünderen, gerechteren und nachhaltigeren Welt. Deshalb bin ich auch Fan der Agenda 2030.
Wir müssen jetzt etwas tun, um unsere Erde und damit auch uns zu retten. Mit Blick auf den Stiftungssektor, welche Veränderung, Initiative oder Entwicklung wünschen Sie sich konkret für dieses Jahr? Was sollten wir 2020 unbedingt erreichen?
Wir brauchen in einer Demokratie einen Grundkonsens. Da sind wir noch nicht. Wir reden über "Verzicht" und "Verbote" statt darüber zu reden, wie wir denn zusammenleben wollen. Wir erleben Hass, Fake und Verlust an Vertrauen in Politik, Wissenschaft und Medien. Wem wird noch geglaubt? Ärzte und Pflegekräfte werden gehört, Kirchen, öffentlichen Multiplikatoren wie Schauspielern, Sportlern und Musikern und Stiftungen! Und wenn jeder an seiner Stelle sagt: "Die Klimakrise ist da, sie ist echt und bedrohlich. Sie ist menschengemacht. Die Wissenschaftler sind sich einig. Wir können etwas tun. Dann gibt es Hoffnung." So ein Statement könnte auch jede Stiftung auf ihre Homepage packen, egal was sie fördert, denn das erfordert die Lage und fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt. 2020 ist ein entscheidendes Jahr. Und wir werden gefragt von Kindern und Enkeln: Ihr habt alles gewusst, ihr wart in einem freien, reichen und kreativen Land – was war euch wichtig? Wart ihr Teil des Problems oder Teil der Lösung? Ich wünsche uns allen, dass wir dann gute Antworten haben.
Dr. Eckart von Hirschhausen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!
Das Gespräch führten Nadine Seiwert und Tobias Roth am 9. Juni 2020.