DSZ: Herr Lesch, laut einer globalen Befragung blicken junge Menschen wenig positiv in die Zukunft. Von 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 16 und 25 Jahren aus 10 Ländern stimmen 75 Prozent der Aussage zu, dass die Zukunft beängstigend sei, und 56 Prozent glauben, dass die Menschheit "dem Untergang geweiht" sei. Ihre Sorge vor dem Klimawandel beeinträchtige ihr tägliches Leben, sagen 45 Prozent. Wie können wir als (Zivil-)Gesellschaft die Jugend unterstützen, ihre Zukunftsangst zu überwinden?
Harald Lesch: Naja, wen wundern diese Ergebnisse? Gerade die Gesellschaften in den reichen Ländern haben die seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue ausgesprochenen Warnungen der Klimaforschung einfach nicht ernst genommen. Immer wieder wurde der Ökonomie nachgegeben. Stellen wir uns doch mal für einen kurzen Moment vor, ein Land wie Deutschland hätte sich in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht für die Kernkraft, sondern für Sonne und Wind entschieden. Wie viel Geld, das wir für die Sicherheit der Kernkraftwerke und der Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle sowie zukünftig für deren Endlagerung ausgeben müssen, hätten wir stattdessen in technische Innovationen für die Nutzung von erneuerbaren Energien investieren können. So aber müssen wir uns mit den Konsequenzen der ökonomisch getriebenen globalen Nutzung fossiler Ressourcen auseinandersetzen, die die globale Erwärmung so sehr verschärft, dass bei Allen – Jungen und Alten – Weltuntergangsgedanken so sehr verbreitet sind. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich raus aus Kohle, Öl und Gas und hinein in die Nutzung von Wind und Sonne! Und damit gerade auch die junge Generation erkennt, dass wir die Katastrophe noch abwenden können, dafür steht unser Projekt, das zeigt, wie man in und mit der Schule selbstwirksam werden kann. Außerdem haben wir Unterrichtsmodule zur Energiewende entwickelt, die unter anderem auch dazu inspirieren sollen, sich für technische Berufe zu begeistern. Denn irgendjemand muss die Windräder bauen, die Photovoltaikanlagen installieren, die nötigen Leitungen und Speicher aufbauen.
DSZ: Frau Scorza, wenn wir auf Ihre Jugend blicken, dann wurde Ihr Forschergeist durch Ihre Eltern, zwei Biologen, in einem internationalen Umfeld geweckt und im naturwissenschaftlichen Schulunterricht in Venezuela gefördert. Was ist nötig, um bei jungen Menschen Begeisterung für Naturwissenschaften zu wecken? Und welche Defizite stellen Sie im MINT-Unterricht in Deutschland fest?
Cecilia Scorza: Das naturwissenschaftliche Denken wird in erster Linie durch die direkte Erfahrung gefördert und auch durch die Begeisterung, die Lehrerinnen und Lehrer für ihre Fächer vermitteln. In unserer Ganztagsschule in Mérida, Venezuela, durften wir durchgehend in den Physik-, Chemie- und Biologielaboren der Schule experimentieren. In Biologie lernten wir zum Beispiel über Bakterien und Parasiten, und als Schulprojekt besuchten wir Wohnungen in Armenvierteln und installierten dort Wasserfilter. Dabei erklärten wir den Bewohnern anhand selbst gestalteter Poster, warum es so wichtig ist, sauberes Wasser zu trinken. Wir machten auch sehr viele Wanderungen in den Anden und lernten so zum Beispiel, was der Gletscher auf den hohen Bergen mit der Wasserversorgung der Stadt zu tun hat. In der 11. Klasse machten wir einen Ausflug in die Sternwarte Llano del Hato (3.999 m). Dort habe ich entschieden, Astronomin zu werden! Im MINT-Unterricht in Deutschland stelle ich als Defizite fest, dass die Schülerinnen und Schüler hauptsächlich Fakten lernen, wenig experimentieren und dass die Fächer zu getrennt voneinander unterrichtet werden. Es fehlt an Zeit in den Schulen für Gruppenprojekte, um fächerübergreifend zu arbeiten. Letzteres ist sehr wichtig für die Sinngebung und um ein zusammenhängendes Gesamtbild aller Fächer zu bekommen. In unserem Projekt nehmen wir den Klimawandel als Kontext, um interdisziplinär zu arbeiten.