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Courage zeigen

Courage zeigen

Sebastian Krumbiegel (Foto: Enrico Meyer)
Foto: Enrico Meyer

 
Guten Tag, Sebastian Krumbiegel! Ich freue mich sehr, dass unser Gespräch klappt. Wo sind Sie denn gerade?

Ich bin zuhause, ich habe hier ein kleines Studio mit ein paar Instrumenten. Das ist so ein Zwischending aus Spiel- und Musikzimmer. Ist ja auch eigentlich dasselbe.
 
Ich bin mit Ihnen großgeworden, und mittlerweile singt auch schon mein Sohn Ihre Lieder. Sie sind ein generationenübergreifender Popstar.
Das höre ich immer wieder, das ist schön. Es ist ein Geschenk, so etwas kann man nicht planen. Ich kriege manchmal Videos geschickt, in denen Kinder Lieder von uns singen, die fünf- oder sechsmal so alt sind wie sie selbst. Das ist schon echt schräg.
 
Sie kommen aus der DDR. Wie hat das Leben in der DDR Ihre Einstellung zum Sich-engagieren beeinflusst?
Ich würde mal sagen: gar nicht. (lacht) Das ist aber auch so ein Stempel: "Hey, du kommst aus der DDR, Unrechtsstaat, warum bist du nicht geflohen?" Das ist immer schwierig, es auf der einen Seite nicht zu bagatellisieren, dass das echt ein Sch***-System war, aber auf der anderen Seite zu sagen, wir haben uns eingerichtet, wir haben ein normales Leben geführt, sind nicht den ganzen Tag nur in dunklen Gewändern herumgerannt und haben geweint, sondern wir haben unser Leben gelebt. Aber ich glaube nicht, dass mich das System DDR in irgendeiner Weise dazu gebracht hat, mich zu engagieren und an dieser Front aktiv zu sein. Ich glaube, dass das damit zusammenhängt, wie du von deinem Elternhaus sozialisiert worden bist.

Ich glaube, dass es heute genauso wichtig ist, gegen Dinge aufzustehen, besser gesagt, sich für Dinge stark zu machen.

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Sebastian Krumbiegel: Hundeblumen für den Lehrer (Video)

 
Sie waren in Leipzig an der Thomasschule und im Thomanerchor und waren damals auch schon jemand, der auf seine eigene Art und Weise gesagt hat, wenn ihm etwas nicht passt. Sie haben einem Lehrer einen Strauß Hundeblumen geschenkt.

Ja, diese Sachen kann man später immer schön erzählen. Also, erst einmal: Natürlich war ich ein aufsässiges Kerlchen, und ich glaube sogar, das bin ich im Herzen immer noch. Also Dinge nicht hinzunehmen, die ich nicht hinnehmen möchte. Als Kind ist das teilweise schwerer, weil man da ja meistens am kürzeren Hebel sitzt. Aber ich glaube, dass es heute genauso wichtig ist, gegen Dinge aufzustehen, besser gesagt, sich für Dinge stark zu machen, die einem wichtig sind. Und da war eben dieser Lehrer, den ich nicht leiden konnte, aus verschiedenen Gründen. Wolfgang aus meiner Klasse, der heute auch bei den Prinzen dabei ist, hat immer irgendwelche futuristischen Bilder gemalt im Unterricht. Und eines Tages hat er ein Bild gemalt mit einer Straßenschlacht und Demonstrationszügen. Das war gegen 1980, also tiefste DDR-Zeit. Das Dumme war, dass er auf dieses Bild ein Gebäude malte, das aussah wie der Uni-Riese (Anm. d. Red.: Charakteristisches Hochhaus in Leipzig). Das hat dieser Lehrer gesehen, hat es einkassiert, ist damit zum Direktor gegangen, und deswegen wäre Wolfgang damals fast von der Schule geflogen und auch aus dem Chor. Und so habe ich dem dann einen Strauß Hundeblumen geschenkt. Man begehrt auf. Als Teenie sowieso. Und da versuchst du auch, Grenzen auszuchecken.
 
War es schwierig, in der DDR Grenzen auszuchecken?
Im Alltag gar nicht, muss ich ehrlich sagen. Aber natürlich hatte man auch eine innerliche Sperre im Kopf. Wie gesagt, ich will das alles gar nicht kleinreden, natürlich hast du dir überlegt, du kannst nicht sagen: "Die Mauer muss weg, Honecker ist ein Mistfink." Das durfte man nicht sagen, das hat man nicht gesagt. Aber man durfte halt ganz normale Dinge sagen, wenn man zum Beispiel persönlich das Gefühl hatte, dass man irgendwas nicht leiden konnte. Genau wie im Westen konnten wir im Osten unsere Grenzen abchecken. (überlegt) Ich habe immer das Gefühl, mich sofort dafür entschuldigen zu müssen, dass ich nicht als ersten Satz sage: "Die DDR war ein Willkürsystem, und jetzt lege ich hier mal los zu erzählen." Weil das nicht mein erster Gedanke ist. Mein erster Gedanke ist: Ich bin 1966 geboren, ich war 23, als die Mauer fiel, und ganz viel von dem, was ich in den 23 Jahren erlebt habe, war wunderschön und war meine Kindheit.

Ja, klar war ich an dem Tag ein Feigling, muss ich ganz klar sagen. System-konform war ich definitiv nicht.

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Sebastian Krumbiegel: Montagsdemos (Video)

Wir wollen nicht die ganze Zeit in der DDR bleiben. Aber eine Frage gestatten Sie mir noch: Die friedliche Revolution. Sie haben mal gesagt, sich zu den ersten Demos nicht getraut zu haben?
Nein. Die allerersten Demos habe ich gar nicht mitgekriegt. Meine allererste Demo war Ende September, und das war schon verhältnismäßig früh, als es noch recht wenige Menschen waren. Meine zweite Demo war dann am 2. Oktober, und da habe ich gesehen, wie die Staatsmacht reingehalten hat, also wie die wirklich scharfe Polizeihunde auf die Demonstranten losgelassen haben. Das war schon hart. Und das war für mich der Grund, bei der eigentlich wichtigen Demo am 9. Oktober nicht dabei zu sein. Ich lese auch immer wieder Kommentare wie: "Ah, der Krumbiegel, der war ja schon immer so systemkonform, irgendwie ein Feigling." Ja, klar war ich an dem Tag ein Feigling, muss ich ganz klar sagen. Systemkonform war ich definitiv nicht. Dass ich nicht dabei war, ärgert mich im Nachhinein selbst wahnsinnig. Aber ich glaube, dass es gut ist, das zu erzählen, um den Leuten den Wind aus den Segeln zu nehmen, die nicht dabei waren. Leute, die nicht miterlebt haben, was das damals für ein Gefühl war, und dann sagen: "Na, dass die Mauer gefallen ist, das haben wir Helmut Kohl zu verdanken und George Bush." Nein, das stimmt nicht, dass die Mauer gefallen ist, haben wir am Ende den Leuten zu verdanken, die in Leipzig und in vielen anderen Städten der DDR auf die Straße gegangen sind und dort friedlich für Sachen eingestanden sind. Und man darf nicht vergessen, dass das kein Spaziergang war. Das war nicht so: "Wir gehen dann mal zur Demo und gucken uns das an." Nee! Man hatte echt Angst, und ich hatte am 9. Oktober eben richtig, richtig dolle Angst. Die Leute haben gedacht, es wird geschossen. Meine Eltern sagten: "Hast du das gehört? Die Krankenhäuser haben ihre Blutkonserven aufgerüstet, es sind ganz viele Krankenhausbetten freigemacht worden. Am Montagabend wird geschossen. Junge, geh da nicht hin!", und ich bin da nicht hingegangen. Ich war erst um 7 in der Stadt und habe gemerkt, wie mir ganz viele fröhlich gelöste erleichterte Menschen entgegenkamen. Es waren so viele Leute da, dass von staatlicher Seite aus keiner gewagt hat, Gewalt anzuwenden. Das war ein echter Sieg für diese Menschen.
 
Eines Ihrer größten Themen, und das erfordert ja Mut, ist der Kampf gegen rechts. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Weil ich, wie gesagt, so erzogen worden bin. Klingt jetzt doof. Weil mich das stört. Weil ich merke, dass Dinge passieren, schon seit einiger Zeit. Das hat man übrigens schon bei den Montagsdemos 1989 gemerkt, dass auf einmal die ersten Republikaner-Flyer verteilt wurden, auf denen stand: "Arbeit zuerst für Deutsche". Und ich dacht mir: "Was passiert denn jetzt hier?" Wir wussten damals noch gar nicht, was Republikaner waren.
 
Schon bei den Montagsdemos? 
Ja, ich weiß noch genau, meinen ersten Rep-Flyer habe ich da in der Hand gehabt, und die Leute sind da schon reingegrätscht und haben genau gewusst, dass sie im Osten Deutschlands bestellte Erde vorfinden. Ich komme gerade aus Potsdam. Dort ist vor dem Landtag der Nachfolger von Andreas Kalbitz gewählt worden. Der ist ja wirklich ein ernsthafter Rechtsaußen, ein Rechtsradikaler, ein Rechtsextremer. Und wir, die Prinzen, haben ihn einmal verklagt, weil er beim Wahlkampf unser Lied "Das alles ist Deutschland" benutzt hat.

Die Demokratie ist ein hohes Gut, und wir sollten uns darum kümmern, [...] dass wir sie gegen Angriffe von rechts schützen.

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Sebastian Krumbiegel: Demokratie gegen rechts schützen (Video)

 
Das hat übrigens in meiner Wahrnehmung überhaupt nichts mit Mut zu tun, ich finde mich überhaupt nicht mutig, das sage ich nicht, weil ich auf Fishing for Compliments aus bin, sondern um klarzustellen, dass das für mich eine Selbstverständlichkeit ist. In Potsdam war Igor Levit dabei, der Pianist, der gerade in aller Munde war und ist. Der ist sehr aktiv auch an politischer Front. Ich habe mit ihm gesprochen und habe ihm gesagt, dass er sich bitte, bitte nicht mundtot machen lassen soll – woran er gar nicht denkt. Aber ich habe ihm gesagt, mir geht es genauso, mir sagen manchmal auch Leute: "Hey, sing mal lieber und halte dich politisch raus." Nö, finde ich überhaupt nicht. Ich finde, man darf sich nicht raushalten. Und zwar völlig unabhängig davon, ob man Künstler ist, Schauspieler, Sänger, Musiker. Ob man Lehrer ist, ob man an der Kasse sitzt, ob man Polizist ist oder Taxifahrer. Was zurzeit passiert in unserem Land, eigentlich weltweit, das sollte unser aller Alarmglocken angehen lassen. Die Demokratie ist ein hohes Gut, und wir sollten uns darum kümmern, dass wir sie schützen, dass wir sie gegen Angriffe von rechts schützen, und dass haben viele Leute, glaube ich, immer noch nicht wirklich gecheckt. Und ich will mich jetzt gar nicht in die Nesseln setzen. Natürlich bin ich gegen jegliche Form von Gewalt und natürlich bin ich gegen jegliche Form von Extremismus. Aber diese Hufeisen-Theorie, die besagt, dass Links und Rechts sich irgendwo begegnen, dass das irgendwo dasselbe wäre, und wenn du schon gegen rechts bist, musst du auch gegen links sein, das ist für mich völliger Unsinn! Weil das inhaltlich zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind.
 
Und trotzdem ist es ja eine Frage: Was kostet es, sein Gesicht für eine Position hinzuhalten? Wenn man sich hinstellt und dann für etwas steht, kann einen auch enormer Gegenwind treffen. Ob das dann Mut ist ... Ihnen ist es passiert, dass ... 
Da muss ich mal kurz reingrätschen. Ich weiß zwar, was Sie meinen, aber ich versuche, immer auch die andere Seite zu sehen. Dass ich jetzt aus Potsdam komme, hat mich beispielsweise total befriedigt. Wenn du was Gutes tust, dann tut es dir selbst auch gut. Wenn du jemandem was schenkst und du siehst, wie der andere sich freut, dann schenkst du dir selbst irgendwie genauso viel.
 
Das ist ein schöner Punkt. Dass Kosten zu einem Preis werden können, den man zurückbekommt. Aber ohne darauf herumzureiten: Es ist Ihnen passiert, dass Sie für Ihre Sache gebrannt haben und dafür einstecken mussten. Ich komme zur Kölner Silvesternacht. Sie sollten ein Statement geben. Danach ist Ihnen ein Shitstorm entgegengeweht.
Ja, das war so eine Anti-Legida-Demo. Wir standen da vor der Thomaskirche in Leipzig mit Kerzen in der Hand, und da kam ein Reporter auf mich zu mit Kamera und Mikrofon und fragt: "Warum stehen Sie hier?" Da habe ich dann meinen Standard-Spruch gemacht, Leipzig sei eine weltoffene Stadt, wir wollen gern multikulturelles Leben fördern und wir sind gegen Ausgrenzung, gegen Rechtsradikalismus. Und er fragte dann nach: "Lassen Sie die Ereignisse der Silvesternacht in Köln diesbezüglich nicht umdenken?" Es wusste damals ja noch keiner so genau, was passiert war. Aber ich hätte erst einmal sagen sollen: "Wenn es da Übergriffe gegeben hat, dann ist das eine Sauerei und dann gehören die Leute bestraft. Völlig egal, wo die herkommen. Was macht das denn für einen Unterschied? Das ist eine Straftat. Punkt aus." Habe ich aber nicht gesagt, ich habe gesagt: "Ich glaube, dass diese Ereignisse von der falschen Seite instrumentalisiert werden." Natürlich auch mit dem Hintergrund, dass ich gemerkt habe, wir stehen hier heute teilweise auch gegen Neonazis auf der Straße. Und die warten eigentlich nur darauf, dass so etwas passiert, um dann wieder zu sagen: "Na, guckt euch doch einmal an, was die (mach die Gänsefüßchen-Geste) 'Kopftuch-Mädchen' und 'Messer-Männer' so alles mit sich bringen." Und deswegen habe ich das eben so gesagt. Da kam danach ein tierischer Shitstorm auf allen Kanälen, und ich habe gedacht: "Was ist denn jetzt passiert?!" Klar, man lernt am Ende auch daraus. Man muss ganz klar sagen: "Wenn jemand etwas Unrechtes tut, egal wo der herkommt, dann ist es etwas Unrechtes und dann muss man dagegen aufstehen." Es ist ja auch völliger Quatsch zu sagen: "Refugees welcome, wir möchten schwerkriminelle Migranten hier haben!" Will kein Mensch. Aber viele Leute sagen, sobald man irgendetwas mit Antifaschismus sagt, ist man linksradikal. Den Zahn muss man den Leuten ziehen, weil jeder Demokrat erst einmal Antifaschist sein sollte, und das hat nichts damit zu tun, dass man Steinewerfer, Autoanzünder und Deutsche-Bank-Scheiben-Einwerfer ist, sondern es hat einfach etwas damit zu tun, dass man sich ganz klar positioniert gegen den ganzen Wahnsinn, der gerade so salonfähig wird, dass mir Angst und Bange wird. Die sitzen im Parlament, die Leute, die das sagen.
 
Wie zieht man den Zahn? 
Ja, wenn ich das wüsste. Ich denke, erst einmal zieht man den Zahn sehr langfristig und präventiv. Also mit guter Bildungsarbeit, auch mit politischer Bildungsarbeit. Wie gehe ich mit Medien um? Angela Merkel wurde damals belächelt, als sie gesagt hat, das Internet sei Neuland. Natürlich ist es Neuland, wir wissen ja alle nicht, wie die Mechanismen funktionieren. Wir fragen uns alle: Warum radikalisieren sich so viele Leute? Weil eben irgendwo in Flensburg ein Rechtradikaler vor seinem Rechner sitzt. Und der hat sich vorher mit seinem rechtsradikalen Kumpel in irgendeiner Kneipe getroffen. Heute stellt er irgendetwas ins Netz. Und dann sitzt irgendwo in Bayern einer und einer in Sachsen und einer in NRW, und die teilen das und schließen sich zusammen und werden dadurch mächtig und laut.
 
Sie wurden mit einem Bandkollegen zusammen in einem Leipziger Park überfallen.
Das ist schon lange her.
 
Das waren Rechtsradikale?
Ja, das waren zwei Neonazis. Man muss dazu sagen, dass die uns nicht erkannt haben – wir waren sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort.
 
Es war also kein gezielter Angriff?
Nein, gar nicht. Es war Zufall. Wenn ich dem auch wieder etwas Positives abgewinnen will: Erstmal war das damals sehr groß in den Medien – BILD Titel und so ... Ansonsten ist ja das Thema "Rechte Gewalt" damals extrem runtergespielt worden, gerade in Sachsen: "Es gibt keine Nazis, es gibt keine rechtsradikale Gewalt, das sind alles nur Schlägereien unter Jugendlichen." DAS waren zwei Neonazis. Der eine hatte ein Hakenkreuz auf den Arm tätowiert. Er ist übrigens bis heute, nach wie vor, straffer Neonazi. Der ist beim Dritten Weg (Red.: rechtsextremistische Kleinpartei) im Führerkader, der ist hardcore dabei, nach wie vor. Die Verhandlung war ätzend, weil ich als Zeuge geladen wurde und meine Adresse im Gerichtssaal sagen musste. Der Saal war voller Neonazis. Da saßen wirklich nur Sympathisanten der Angeklagten. Aber das Gute war, dass ich ein paar Jahre später einen Brief vom Weißen Ring bekommen habe. Die kümmern sich um Kriminalitätsopfer und versuchen, Opfer-Täter-Ausgleich zu machen. Die haben mir gesagt, dass im Maßregelvollzug in Leipzig einer der beiden sitzt und sich bei mir entschuldigen möchte. Ich wollte erst nicht, aber ich habe ihn besucht. Das war spannend, weil ich auch wieder gemerkt habe, dass nicht alles schwarz-weiß zu sehen ist. Am Ende war der Typ echt eine arme Sau. Der hatte keine gute Kindheit, der hatte einen gewalttätigen Vater, der ist mit anderen Regeln großgeworden als ich. Ich will das nicht entschuldigend sagen, sondern erklärend. Oder auch der Umkehrschluss: Wo wäre ich hingekommen, wenn ich in solchen Verhältnissen aufgewachsen wäre? Ich habe damals gedacht: "Mensch, sei mal ein wenig dankbar für deine Kindheit, für deine Erziehung und dafür, wie du so draufgekommen bist. Denn du hast viel Glück gehabt in deinem Leben und das hatte der nicht." Ich will gar nicht prinzipiell sagen: "Wenn du dir ein Bein gebrochen hast, sag: Zum Glück! Wenigstens nicht das Genick!" Aber man kann immer etwas Positives finden. Das hat mir meine Mutter beigebracht.
 
Ich habe es schon gesagt, ich rede heute mit einem Popstar. Sie haben sechs Millionen Platten verkauft mit ihrer Band „Die Prinzen“.
Milliarden. (beide lachen)
 
Aber neben der Musik sind Sie extrem engagiert. Nicht umsonst haben Sie das Bundesverdienstkreuz bekommen. Es wird einem wirklich ein bisschen schwindelig, wenn man anfängt zu recherchieren, was Sie alles machen. Sie arbeiten unter anderem auch mit Stiftungen zusammen?
Ja. Ich habe eine ganze Weile gar nicht richtig verstanden, wie das System Stiftung überhaupt funktioniert. Ich habe mit vielen Stiftungen zusammengearbeitet, auch heute noch, und finde das großartig, dass es das gibt, dieses Konstrukt "Stiftung". Ich habe mit der Körber-Stiftung vor langer, langer Zeit ein Buch herausgegeben mit Flüchtlings-Geschichten aus Leipzig. Ich mache viel mit der Amadeu Antonio Stiftung. Die loben Jahr für Jahr den sächsischen Förderpreis für Demokratie aus, für Vereine und Initiativen, die sich für demokratische Grundwerte einsetzen. Es gibt eine Preisverleihung jedes Jahr, bei der ich auch Musik mache. Wir arbeiten mit der ZEIT-Stiftung zusammen, die uns extrem hilft, unser Leipzig-zeigt-Courage-Konzert zu machen: Wir haben vor über 20 Jahren, 1998, angefangen, in Leipzig ein Konzert ins Leben zu rufen. Jeden Vorabend des 1. Mai, weil wir damals eine Nazi-Demo blockiert haben. Christian Worch (Red.: führender Neonazi, unter anderem Vorsitzender der Partei Die Rechte) wollte demonstrieren vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, und da haben wir diesen Platz besetzt. Wir hatten kurz vorher bei einem ähnlichen Ding in Köln gespielt, und ich habe da Niedecken von BAP gefragt: "Wir haben da ein Problem, wollt ihr uns helfen? Wir wollen da einfach den Platz besetzen." Und dann sind die nach Leipzig gekommen, wir haben 15.000 Leute auf dem riesigen Platz gehabt, und die Nazis konnten nicht marschieren. Seitdem machen wir das jedes Jahr am 30. April. Ich glaube, dass so eine Sache extrem wichtig ist. Aber man braucht für so etwas Financiers. Gerade die ZEIT-Stiftung ist uns dermaßen entgegengekommen und hat uns letztes Jahr und dieses Jahr sehr, sehr großzügig unterstützt. Wir sind auch der Meinung, dass man die Musiker bezahlen muss. Gerade in heutigen Zeiten, wo es für die Musiker, die Kunst und die Kultur und auch für die ganze Peripherie, die ganzen Techniker echt böse aussieht. Man muss denen irgendetwas geben. Man kann es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass die da ohne Kohle Musik machen. Ich bin übrigens ein großer Fan des Solidargedankens. Stiftungen und jede Form von Spenden und auch bürgerschaftliches Engagement – bis hin zur Tafel sind wichtige und solidarische Aktionen. Aber möchte keine sprichwörtlichen amerikanischen Verhältnisse, in denen an erster Stelle Mäzene für soziale Gerechtigkeit sorgen. Das sollte in erster Linie Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates sein.
 
Wie das Konzert heißt auch Ihr Buch "Courage zeigen". Großes Thema in Ihrem Leben: Courage zeigen.
Ja, das stimmt.

Man darf nicht vergessen: Wenn wir aufhören Kultur zu machen, dann sind wir irgendwann kulturlose Menschen, und das kann nicht gut gehen.

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Sebastian Krumbiegel: Kultur ist systemrelevant (Video)

 
Was machen Sie gerade für Projekte? Album aufnehmen? Wann kommt das raus?
Wir werden nächstes Jahr 30 Jahre alt, machen ein neues Album, zwölf neue Songs, und dann nehmen gerade noch fünf ältere Hits mit Gästen zusammen auf. Das wird gut. Ich bin da regelrecht euphorisch.
 
Ist noch eine große Tour geplant?
Wir versuchen zu planen, nur kann gerade keiner planen. Da haben wir es noch gut, weil wir in den letzten Jahren gut verdient haben. Weil wir Rücklagen haben, die viele andere nicht haben. Ich habe mich gefreut: Die Ärzte waren in den Tagesthemen und haben darüber gesprochen. Das fand ich sehr wichtig. Dass auch von dieser Seite Leute kommen und sagen: "Kultur ist dann eben doch auch systemrelevant." Man darf nicht vergessen: Wenn wir aufhören Kultur zu machen, dann sind wir irgendwann kulturlose Menschen, und das kann nicht gut gehen. Wir haben bis jetzt geplant, die Tour, die wir schon einmal verschoben haben, auf Frühjahr nächstes Jahr zu verschieben. Ich glaube nicht daran, dass wir nächstes Jahr im März oder April in Theatern auftreten werden können, weil die Pandemie uns noch eine Weile im Griff haben wird. Aber am Ende sind wir Optimisten. Irgendwann werden wir wieder auf der Bühne stehen. Ich hoffe, dass die Leute das genauso herbeisehnen wie wir selbst.
 
Ihr Management macht gerade so (Hand vor Augen): "Das kannst Du doch nicht sagen!"
Doch, doch, man sollte da offen drüber reden. Man muss den Leuten da draußen sagen: "Wir freuen uns auf Euch. Wir werden irgendwann wieder rauskommen. Freut Euch auch auf uns und vergesst uns nicht!“ Ich habe am 6. Oktober in unsere Prinzen-Whatsapp-Gruppe eine Nachricht geschickt: "Herzlichen Glückwunsch zur einjährigen Bühnenabstinenz." Das ist nicht gut! Das ist für eine Band nicht gut, das ist für niemanden gut. Natürlich ist es auch nicht gut, wenn die Zahlen nach oben gehen, und natürlich sind wir vernünftig: Alle mit Abstand, alle mit Maske. Wir berühren einander nicht mehr, wir verändern uns, glaube ich, gerade. Wir mutieren in irgendeiner Weise. Aber die einzige Möglichkeit, wie wir es besser machen können, ist, und da bin ich voll bei der offiziellen Linie: Abstand halten, schlau sein und keinen Scheiß machen.
 
Ganz vermissen muss man Sie trotz Pandemie nicht. Wenn man Sie hören möchte, kann man Spotify anmachen, denn Sie sind zum Podcaster geworden.
WEGEN Corona übrigens. Ich habe mit einem Freund, Jan Müller, der Bassgitarrist von Tocotronic, gesprochen. Der rief mich an und sagte: "Ich mache hier so einen Podcast und kenne einen Typen in Berlin, der hat auch vor, einen Podcast zu machen. Mit einem Musiker zusammen – kannst du dir das vorstellen?" Das war gerade im März. Und ich habe mich mit ihm gut verstanden, und seitdem haben wir jetzt 30 Folgen aufgezeichnet. Davon stehen jetzt schon 15 online. Das ist für mich eine große Bereicherung. Das Ding heißt: "Kunst trifft Digital". Denn er ist so ein Digital-Onkel, ich bin so ein Kunst-Heini. Wir laden uns verschiedene Leute ein, Künstlerinnen und Künstler, Schauspielerinnen und Schauspieler, Musikerinnen und Musiker. Wir hatten Gregor Gysi zu Gast. Wir laden Leute aus verschiedenen Sparten ein und quetschen die sozusagen aus. Aber sehr freundlich. Es geht uns da nicht um irgendeine investigative Herangehensweise, sondern wir wollen einfach wissen: "Was macht ihr?" Wir hatten jetzt Sky Du Mont. Das war großartig! Dieser junggebliebene ältere Mann. Hammergeil! Olli Dittrich, Anja Reschke waren jetzt da bei uns. Daran wachse ich auch. Meine Frau sagt immer: "Every cloud has a silver lining." Das stimmt. In jedem Negativen ist auch was Positives drin, und man muss versuchen, das Gute zu finden. Das ist mein positiver Corona-Effekt: dass ich dadurch zum Podcaster geworden bin. Und ich merke, es macht Spaß, sich auf Leute einzulassen, mit denen du vermeintlich erstmal gar nichts zu tun hast. Aber es ist total spannend, deren Sicht zu hören und, ja, dann eben auch etwas zu lernen. Kunst trifft Digital, meine sehr verehrten Damen und Herren, und jetzt zur Werbung!
 
Sebastian Krumbiegel, vielen lieben Dank!

 

Sebastian Krumbiegel gibt Alexander Gauland einen Tipp

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Sebastian Krumbiegel: Ein Tipp für Gauland (Video)

 
Das Gespräch führte Tobias Roth, Kommunikationsmanager im Deutschen Stiftungszentrum.