Das hat übrigens in meiner Wahrnehmung überhaupt nichts mit Mut zu tun, ich finde mich überhaupt nicht mutig, das sage ich nicht, weil ich auf Fishing for Compliments aus bin, sondern um klarzustellen, dass das für mich eine Selbstverständlichkeit ist. In Potsdam war Igor Levit dabei, der Pianist, der gerade in aller Munde war und ist. Der ist sehr aktiv auch an politischer Front. Ich habe mit ihm gesprochen und habe ihm gesagt, dass er sich bitte, bitte nicht mundtot machen lassen soll – woran er gar nicht denkt. Aber ich habe ihm gesagt, mir geht es genauso, mir sagen manchmal auch Leute: "Hey, sing mal lieber und halte dich politisch raus." Nö, finde ich überhaupt nicht. Ich finde, man darf sich nicht raushalten. Und zwar völlig unabhängig davon, ob man Künstler ist, Schauspieler, Sänger, Musiker. Ob man Lehrer ist, ob man an der Kasse sitzt, ob man Polizist ist oder Taxifahrer. Was zurzeit passiert in unserem Land, eigentlich weltweit, das sollte unser aller Alarmglocken angehen lassen. Die Demokratie ist ein hohes Gut, und wir sollten uns darum kümmern, dass wir sie schützen, dass wir sie gegen Angriffe von rechts schützen, und dass haben viele Leute, glaube ich, immer noch nicht wirklich gecheckt. Und ich will mich jetzt gar nicht in die Nesseln setzen. Natürlich bin ich gegen jegliche Form von Gewalt und natürlich bin ich gegen jegliche Form von Extremismus. Aber diese Hufeisen-Theorie, die besagt, dass Links und Rechts sich irgendwo begegnen, dass das irgendwo dasselbe wäre, und wenn du schon gegen rechts bist, musst du auch gegen links sein, das ist für mich völliger Unsinn! Weil das inhaltlich zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind.
Und trotzdem ist es ja eine Frage: Was kostet es, sein Gesicht für eine Position hinzuhalten? Wenn man sich hinstellt und dann für etwas steht, kann einen auch enormer Gegenwind treffen. Ob das dann Mut ist ... Ihnen ist es passiert, dass ...
Da muss ich mal kurz reingrätschen. Ich weiß zwar, was Sie meinen, aber ich versuche, immer auch die andere Seite zu sehen. Dass ich jetzt aus Potsdam komme, hat mich beispielsweise total befriedigt. Wenn du was Gutes tust, dann tut es dir selbst auch gut. Wenn du jemandem was schenkst und du siehst, wie der andere sich freut, dann schenkst du dir selbst irgendwie genauso viel.
Das ist ein schöner Punkt. Dass Kosten zu einem Preis werden können, den man zurückbekommt. Aber ohne darauf herumzureiten: Es ist Ihnen passiert, dass Sie für Ihre Sache gebrannt haben und dafür einstecken mussten. Ich komme zur Kölner Silvesternacht. Sie sollten ein Statement geben. Danach ist Ihnen ein Shitstorm entgegengeweht.
Ja, das war so eine Anti-Legida-Demo. Wir standen da vor der Thomaskirche in Leipzig mit Kerzen in der Hand, und da kam ein Reporter auf mich zu mit Kamera und Mikrofon und fragt: "Warum stehen Sie hier?" Da habe ich dann meinen Standard-Spruch gemacht, Leipzig sei eine weltoffene Stadt, wir wollen gern multikulturelles Leben fördern und wir sind gegen Ausgrenzung, gegen Rechtsradikalismus. Und er fragte dann nach: "Lassen Sie die Ereignisse der Silvesternacht in Köln diesbezüglich nicht umdenken?" Es wusste damals ja noch keiner so genau, was passiert war. Aber ich hätte erst einmal sagen sollen: "Wenn es da Übergriffe gegeben hat, dann ist das eine Sauerei und dann gehören die Leute bestraft. Völlig egal, wo die herkommen. Was macht das denn für einen Unterschied? Das ist eine Straftat. Punkt aus." Habe ich aber nicht gesagt, ich habe gesagt: "Ich glaube, dass diese Ereignisse von der falschen Seite instrumentalisiert werden." Natürlich auch mit dem Hintergrund, dass ich gemerkt habe, wir stehen hier heute teilweise auch gegen Neonazis auf der Straße. Und die warten eigentlich nur darauf, dass so etwas passiert, um dann wieder zu sagen: "Na, guckt euch doch einmal an, was die (mach die Gänsefüßchen-Geste) 'Kopftuch-Mädchen' und 'Messer-Männer' so alles mit sich bringen." Und deswegen habe ich das eben so gesagt. Da kam danach ein tierischer Shitstorm auf allen Kanälen, und ich habe gedacht: "Was ist denn jetzt passiert?!" Klar, man lernt am Ende auch daraus. Man muss ganz klar sagen: "Wenn jemand etwas Unrechtes tut, egal wo der herkommt, dann ist es etwas Unrechtes und dann muss man dagegen aufstehen." Es ist ja auch völliger Quatsch zu sagen: "Refugees welcome, wir möchten schwerkriminelle Migranten hier haben!" Will kein Mensch. Aber viele Leute sagen, sobald man irgendetwas mit Antifaschismus sagt, ist man linksradikal. Den Zahn muss man den Leuten ziehen, weil jeder Demokrat erst einmal Antifaschist sein sollte, und das hat nichts damit zu tun, dass man Steinewerfer, Autoanzünder und Deutsche-Bank-Scheiben-Einwerfer ist, sondern es hat einfach etwas damit zu tun, dass man sich ganz klar positioniert gegen den ganzen Wahnsinn, der gerade so salonfähig wird, dass mir Angst und Bange wird. Die sitzen im Parlament, die Leute, die das sagen.
Wie zieht man den Zahn?
Ja, wenn ich das wüsste. Ich denke, erst einmal zieht man den Zahn sehr langfristig und präventiv. Also mit guter Bildungsarbeit, auch mit politischer Bildungsarbeit. Wie gehe ich mit Medien um? Angela Merkel wurde damals belächelt, als sie gesagt hat, das Internet sei Neuland. Natürlich ist es Neuland, wir wissen ja alle nicht, wie die Mechanismen funktionieren. Wir fragen uns alle: Warum radikalisieren sich so viele Leute? Weil eben irgendwo in Flensburg ein Rechtradikaler vor seinem Rechner sitzt. Und der hat sich vorher mit seinem rechtsradikalen Kumpel in irgendeiner Kneipe getroffen. Heute stellt er irgendetwas ins Netz. Und dann sitzt irgendwo in Bayern einer und einer in Sachsen und einer in NRW, und die teilen das und schließen sich zusammen und werden dadurch mächtig und laut.
Sie wurden mit einem Bandkollegen zusammen in einem Leipziger Park überfallen.
Das ist schon lange her.
Das waren Rechtsradikale?
Ja, das waren zwei Neonazis. Man muss dazu sagen, dass die uns nicht erkannt haben – wir waren sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort.
Es war also kein gezielter Angriff?
Nein, gar nicht. Es war Zufall. Wenn ich dem auch wieder etwas Positives abgewinnen will: Erstmal war das damals sehr groß in den Medien – BILD Titel und so ... Ansonsten ist ja das Thema "Rechte Gewalt" damals extrem runtergespielt worden, gerade in Sachsen: "Es gibt keine Nazis, es gibt keine rechtsradikale Gewalt, das sind alles nur Schlägereien unter Jugendlichen." DAS waren zwei Neonazis. Der eine hatte ein Hakenkreuz auf den Arm tätowiert. Er ist übrigens bis heute, nach wie vor, straffer Neonazi. Der ist beim Dritten Weg (Red.: rechtsextremistische Kleinpartei) im Führerkader, der ist hardcore dabei, nach wie vor. Die Verhandlung war ätzend, weil ich als Zeuge geladen wurde und meine Adresse im Gerichtssaal sagen musste. Der Saal war voller Neonazis. Da saßen wirklich nur Sympathisanten der Angeklagten. Aber das Gute war, dass ich ein paar Jahre später einen Brief vom Weißen Ring bekommen habe. Die kümmern sich um Kriminalitätsopfer und versuchen, Opfer-Täter-Ausgleich zu machen. Die haben mir gesagt, dass im Maßregelvollzug in Leipzig einer der beiden sitzt und sich bei mir entschuldigen möchte. Ich wollte erst nicht, aber ich habe ihn besucht. Das war spannend, weil ich auch wieder gemerkt habe, dass nicht alles schwarz-weiß zu sehen ist. Am Ende war der Typ echt eine arme Sau. Der hatte keine gute Kindheit, der hatte einen gewalttätigen Vater, der ist mit anderen Regeln großgeworden als ich. Ich will das nicht entschuldigend sagen, sondern erklärend. Oder auch der Umkehrschluss: Wo wäre ich hingekommen, wenn ich in solchen Verhältnissen aufgewachsen wäre? Ich habe damals gedacht: "Mensch, sei mal ein wenig dankbar für deine Kindheit, für deine Erziehung und dafür, wie du so draufgekommen bist. Denn du hast viel Glück gehabt in deinem Leben und das hatte der nicht." Ich will gar nicht prinzipiell sagen: "Wenn du dir ein Bein gebrochen hast, sag: Zum Glück! Wenigstens nicht das Genick!" Aber man kann immer etwas Positives finden. Das hat mir meine Mutter beigebracht.
Ich habe es schon gesagt, ich rede heute mit einem Popstar. Sie haben sechs Millionen Platten verkauft mit ihrer Band „Die Prinzen“.
Milliarden. (beide lachen)
Aber neben der Musik sind Sie extrem engagiert. Nicht umsonst haben Sie das Bundesverdienstkreuz bekommen. Es wird einem wirklich ein bisschen schwindelig, wenn man anfängt zu recherchieren, was Sie alles machen. Sie arbeiten unter anderem auch mit Stiftungen zusammen?
Ja. Ich habe eine ganze Weile gar nicht richtig verstanden, wie das System Stiftung überhaupt funktioniert. Ich habe mit vielen Stiftungen zusammengearbeitet, auch heute noch, und finde das großartig, dass es das gibt, dieses Konstrukt "Stiftung". Ich habe mit der Körber-Stiftung vor langer, langer Zeit ein Buch herausgegeben mit Flüchtlings-Geschichten aus Leipzig. Ich mache viel mit der Amadeu Antonio Stiftung. Die loben Jahr für Jahr den sächsischen Förderpreis für Demokratie aus, für Vereine und Initiativen, die sich für demokratische Grundwerte einsetzen. Es gibt eine Preisverleihung jedes Jahr, bei der ich auch Musik mache. Wir arbeiten mit der ZEIT-Stiftung zusammen, die uns extrem hilft, unser Leipzig-zeigt-Courage-Konzert zu machen: Wir haben vor über 20 Jahren, 1998, angefangen, in Leipzig ein Konzert ins Leben zu rufen. Jeden Vorabend des 1. Mai, weil wir damals eine Nazi-Demo blockiert haben. Christian Worch (Red.: führender Neonazi, unter anderem Vorsitzender der Partei Die Rechte) wollte demonstrieren vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, und da haben wir diesen Platz besetzt. Wir hatten kurz vorher bei einem ähnlichen Ding in Köln gespielt, und ich habe da Niedecken von BAP gefragt: "Wir haben da ein Problem, wollt ihr uns helfen? Wir wollen da einfach den Platz besetzen." Und dann sind die nach Leipzig gekommen, wir haben 15.000 Leute auf dem riesigen Platz gehabt, und die Nazis konnten nicht marschieren. Seitdem machen wir das jedes Jahr am 30. April. Ich glaube, dass so eine Sache extrem wichtig ist. Aber man braucht für so etwas Financiers. Gerade die ZEIT-Stiftung ist uns dermaßen entgegengekommen und hat uns letztes Jahr und dieses Jahr sehr, sehr großzügig unterstützt. Wir sind auch der Meinung, dass man die Musiker bezahlen muss. Gerade in heutigen Zeiten, wo es für die Musiker, die Kunst und die Kultur und auch für die ganze Peripherie, die ganzen Techniker echt böse aussieht. Man muss denen irgendetwas geben. Man kann es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass die da ohne Kohle Musik machen. Ich bin übrigens ein großer Fan des Solidargedankens. Stiftungen und jede Form von Spenden und auch bürgerschaftliches Engagement – bis hin zur Tafel sind wichtige und solidarische Aktionen. Aber möchte keine sprichwörtlichen amerikanischen Verhältnisse, in denen an erster Stelle Mäzene für soziale Gerechtigkeit sorgen. Das sollte in erster Linie Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates sein.
Wie das Konzert heißt auch Ihr Buch "Courage zeigen". Großes Thema in Ihrem Leben: Courage zeigen.
Ja, das stimmt.