Dürfen öffentlich zugängliche Adressdaten für die Werbung bei potenziellen Spenderinnen und Spendern verwendet werden? Über diese Frage hat jüngst das Oberlandesgericht Stuttgart als Berufungsinstanz entschieden. Dazu berichtet Constantin Meraneos, Syndikusrechtsanwalt und Mediator beim Deutschen Stiftungszentrum.
Vor dem Hintergrund sinkender Erträge und verringerter Spendenaufkommen sind viele steuerbegünstigte Körperschaften auf aktive Spendenwerbung angewiesen. Verantwortliche fragen sich, ob sie für die Werbung bei potenziellen Spendern öffentlich zugängliche Adressdaten für Werbebriefe verwenden dürfen oder ob sie dadurch gegen Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) verstoßen. Über diese Frage hat jüngst das OLG Stuttgart als Berufungsinstanz mit Beschluss vom 2. Februar 2024 entschieden (2 U 63/22).
Im vorliegenden Fall hatte der Empfänger eines Werbebriefs gegen die Versenderin Schadensersatzansprüche wegen einer unrechtmäßigen, rechtsgrundlosen Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten und eines daraus resultierenden immateriellen Schadens geltend gemacht. Der Kläger sah sich durch die Zusendung eines Werbebriefs in seinen Rechten verletzt. Er machte geltend, dass sein Interesse, keine Werbung zu erhalten, die Interessen der Beklagten überwiegen würde. Zudem wäre die Zusendung eines Werbebriefs auch nicht erforderlich gewesen, weil die Zusendung elektronischer Werbung ein milderes Mittel gewesen wäre. Die Beklagte hatte die Adressdaten des Klägers zuvor aus einem öffentlich zugänglichen Adressverzeichnis erhoben, ohne dass eine Kundenbeziehung zum Kläger bestanden oder der Kläger in den Versand eingewilligt hatte.
Nachdem die Vorinstanz die Klage bereits abgewiesen hatte, hat das OLG Stuttgart das vorinstanzliche Urteil in der Berufung mit Hinweisbeschluss vom 2. Februar 2024 bestätigt. Die Erhebung der öffentlich zugänglichen Daten und der Versand des Werbebriefs liegen für das Gericht im berechtigten Interesse der Beklagten, das die Interessen des Klägers überwiegt. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte sei nicht begründet.
Nach der DS-GVO als Verbotsgesetz bedarf jede Verarbeitung personenbezogener Daten, wie zum Beispiel die Nutzung von Adressdaten, zur Rechtmäßigkeit eines bestimmten Rechtsgrundes. Für die rechtmäßige Verarbeitung von Adressdaten zum Versand von Direktwerbung kommt als Rechtsgrund ein berechtigtes Interesse des Versenders in Frage. Das berechtigte Interesse des Werbenden muss dabei die Interessen des betroffenen Adressaten überwiegen.
Entsprechend hat das Gericht für die Rechtmäßigkeit des Versands des Webebriefes und der damit verbundenen Datenverarbeitung auf den Rechtsgrund des berechtigten Interesses der Beklagten gemäß Art. 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO abgestellt. Zur Auslegung des Begriffs "Berechtigtes Interesse" bedient sich das Gericht des Erwägungsgrunds 47 DS-GVO, in dem die Direktwerbung als Beispiel für ein berechtigtes Interesse genannt wird. Unter einer Direktwerbung im Sinne der DS-GVO ist dabei grundsätzlich jede unmittelbare Ansprache der betroffenen Person zu verstehen; auch durch den Versand von Briefen. Nach Ansicht des Gerichts setzen weder Art. 6 Absatz1 Satz 1 lit. f DS-GVO noch der Erwägungsgrund 47 DS-GVO für Direktwerbung als berechtigtes Interesse voraus, dass vorher eine Kundenbeziehung zum Empfänger bestehen muss. Ein berechtigtes Interesse umfasst nach Auffassung des Gerichts vielmehr alle rechtlichen, wirtschaftlichen und ideellen Interessen des Versenders auch außerhalb oder vor einer Kundenbeziehung (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 11 LA 16/20).
Für das Gericht war die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers im vorliegenden Fall auch erforderlich. Die vom Kläger als milderes Mittel geltend gemachte Zusendung elektronischer Werbung wäre für den Kläger nicht weniger belastend gewesen, weil nach der Wertung der deutschen Rechtsordnung ein elektronischer Werbeversand – außerhalb einer Geschäftsbeziehung – ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung eine unzumutbare Belästigung gemäß § 7 Absatz 2 Nr. 2 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gewesen wäre, wogegen die Zusendung eines Briefs mit einer als Werbung sofort erkennbaren Botschaft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) als zulässig bewertet wird (BGH, Urteil vom 30. April 1992 – I ZR 287/90; BHG, Urteil vom 3. März 2011 – ZR 167/09).
Für das Gericht überwiegen die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers, keine Werbung zu erhalten, nicht das Interesse der Beklagten. Die Zusendung von Direktwerbung würde erst dann unzulässig, nachdem der Kläger der Zusendung von Werbung widersprochen hätte (Art. 21 Absatz 2 DS-GVO).
Auch wenn das Gericht im vorliegenden Fall über keinen Schadenseintritt entscheiden musste, weil der Beklagten kein Verstoß gegen die DS-GVO vorzuwerfen war, bleibt festzustellen, dass der vom Kläger behauptete Schaden nicht ausgereicht hätte. Der Kläger hatte behauptet, allein durch einen Verstoß der Beklagten gegen die Vorschriften der DS-GVO wäre das Schicksal seiner Daten ungewiss geworden und diese Ungewissheit hätte bei ihm zu einer seelischen Belastung geführt. Nach der Rechtsprechung des EuGH reicht ein Rechtsverstoß gegen die Vorschriften der DS-GVO zur Begründung eines Schadensersatzanspruches allein aber nicht aus. Für einen Ersatzanspruch muss tatsächlich ein Schaden eingetreten sein (EuGH Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21).
Zur Begründung eines Schadens hätte der Kläger im vorliegenden Fall konkrete Gründe vortragen müssen, die die Befürchtung eines künftigen Missbrauchs seiner personenbezogenen Daten begründet hätten. Solche Gründe hätten zum Beispiel dann vorliegen können, wenn die Beklagte die Daten an Dritte weitergegeben, nicht gelöscht und nicht mit einem internen Sperrvermerk versehen hätte. Dann wäre ein künftiger Missbrauch nicht ausgeschlossen gewesen. Beim Versand von Werbebriefen sollte deshalb eine Übermittlung der Adressdaten an Dritte auf jeden Fall vermieden werden. Nach einem Widerspruch des Adressaten sollten dessen Daten gelöscht und mit einem Sperrvermerk versehen werden.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht über die Rechtmäßigkeit von Direktwerbung durch den Versand eines physischen Briefs entschieden. Davon zu unterscheiden ist der Versand elektronischer Werbung. Die Zusendung elektronischer Werbung außerhalb einer Geschäftsbeziehung ohne vorherige Einwilligung des Empfängers ist – unabhängig von einer Bewertung gemäß der DS-GVO – grundsätzlich eine unzumutbare Belastung gemäß § 7 Absatz 2 Nr. 2 (UWG). Außerdem ist beim Versand physischer Werbebriefe nach der DS-GVO darauf zu achten, dass personenbezogene Daten nicht an Dritte weitergegeben und nicht automatisiert im Wege eines sogenannten Profilings gemäß § 22 Abs. 1 DS-GVO verarbeitet werden.
DER AUTOR
Constantin Meraneos ist Syndikusrechtsanwalt und Mediator beim Deutschen Stiftungszentrum.
Der Beitrag stammt aus dem Fachmagazin Stiftung&Sponsoring 6/2024.
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