09.05.2023
Fünf Fragen an: Dr. Katharina Dulias
Nur eine halbe Autostunde von Rom entfernt, eingebettet in die Sabatiner Berge, liegt der Bracciano-See. Bekannt für sein azurblaues, kristallklares Wasser ist er heute Anziehungspunkt für Naturtouristen und Wassersportler. Dass sein Wasser eine 8.000 Jahre alte, jungsteinzeitliche Siedlung bedeckt, ist nicht zu erahnen. Doch bereits 4.000 Jahre vor der Gründung Roms und 2.000 Jahre bevor Ötzi die Ötztaler Alpen durchstreifte, war die neolithische Siedlung "La Marmotta" über Jahrhunderte ein Zentrum mittelmeerischer Kulturkontakte. Doch wie sah es vor Tausenden von Jahren während der Jungsteinzeit aus? Antworten auf diese Frage gibt nicht nur die Unterwasser-Archäologie, sondern auch die Biologie dank moderner molekularer Verfahren.
Dr. Katharina Dulias und M. Sc. Luis Victoria Nogales von der Technischen Universität Braunschweig werden im Rahmen ihres "Forschungsgeist!"-Projekts der Frenzen-Stiftung tief in die Vergangenheit eintauchen.
Bei Unterwasserausgrabungen in den 1990er-Jahren wurden Teile der jungsteinzeitlichen Siedlung freigelegt und hervorragend konservierte Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs geborgen. Was macht La Marmotta so interessant, dass Sie mit Ihrem Projekt erneut in die Zeit zwischen 5500 bis 4900 v. Chr. zurückreisen?
Die bisher geborgenen Artefakte geben in der Tat schon einen hervorragenden Einblick in die Lebensweise der Siedler. So wurden Boote und verschiedene Objekte gefunden, die mit Segeln, Fischerei und Ackerbau in Verbindung gebracht werden. Die Siedlung “La Marmotta” florierte für mindestens vier Jahrhunderte. Heute liegt sie ungefähr 300 Meter vom modernen Seeufer des Bracciano-Sees unter sechs bis acht Metern Wasser und drei Metern Sediment begraben. Das ist unsere Chance, ein noch ungleich detaillierteres Bild eines steinzeitlichen Dorfes, seiner Entwicklung und seines Untergangs zu zeichnen. Denn uns interessiert, wie die Menschen gelebt haben, welche Tiere sie domestiziert, welche Pflanzen sie angebaut und auch, wie sie ihre Umwelt beeinflusst haben.
Am Ende Ihrer Forschungsarbeiten wissen wir also, was auf dem Speiseplan der Siedler stand und wie sich ihre Speisekarte im Laufe der Jahrhunderte bis zum Untergang des Dorfes geändert hat?
Wir hoffen in der Tat, eine detaillierte Rekonstruktion der aquatischen und terrestrischen Biodiversitätsänderungen sowie der Mensch-Umwelt-Interaktionen im Bracciano-See zu ermöglichen. Hierzu zählen Vegetationsveränderungen im Seeeinzugsgebiet, die Ankunft domestizierter Pflanzen und Tiere und die Entwicklung der aquatischen Biodiversität vom Beginn der Jungsteinzeit bis in die Neuzeit. Dies wird das verfügbare historische Wissen über die menschliche Präsenz in dieser Region, aber auch das Verständnis von Klimaschwankungen erweitern. Nicht zuletzt hoffen wir Aufschluss darüber zu bekommen, wie es zur Flutkatastrophe kam, die zum Untergang der Siedlung führte.
Archäologische Untersuchungen allein können häufig keinen umfassenden Einblick in die ferne Vergangenheit ermöglichen. Wie können Sie als Biologen die Spurensuche komplettieren?
Wir werden uns die Genetik zunutze machen. Alle Organismen hinterlassen ihr Erbgut in der jeweiligen Umgebung, in der sie leben und sterben. Das Erbgut (DNS) kann dann an Sedimentpartikel gebunden werden – die sogenannte SedaDNS – und dort geschützt die Zeit überdauern. Seen sind besonders gute Archive für dieses "Umwelt"-Erbgut, und über Jahre schichten sich dort Sedimentlagen mit der gebundenen DNS übereinander. Im Zuge des technischen Fortschritts der Molekularbiologie lässt sich dieses Erbgut analysieren und Aufschluss über Organismen zu, von welchen keine fossilen Überreste mehr vorhanden sind.
Mit welchen Methoden entlocken Sie dem See die Geschichte der versunkenen Siedlung?
Zunächst entnehmen wir Sedimentkerne aus dem See an unterschiedlichen Stellen der Siedlung, analysieren die physikalischen und chemischen Eigenschaften und extrahieren die SedaDNS. Zusätzlich schauen wir uns bereits geborgene Ernte-Sicheln der Siedler an. Diese Sicheln bestehen aus geschliffenen Steinen, die mit Pinienharz in hölzerne Griffe geklebt wurden. Bei der Ernte haben die geernteten Pflanzen ihre Pollen im Pinienharz hinterlassen. Das ermöglicht uns, ihre DNS zu extrahieren. Das so gewonnene tierische und pflanzliche Erbgut sequenzieren wir und können auf Grundlage der gewonnenen Daten das Ökosystems von "La Marmotta" rekonstruieren und mit den vorhandenen Pollendaten komplementieren.
Reisen wir aus der Vergangenheit in die Gegenwart: Inwiefern kann uns die Rekonstruktion von "La Marmotta" heutzutage helfen?
Der Vulkansee Bracciano liegt gerade einmal 32 Kilometer im Nordwesten von Rom und ist eine wichtige Süßwasserressource für die Bevölkerung der Stadt Roms und des Vatikans. Die im Zuge des Forschungsvorhabens gesammelten Ergebnisse der anthropogenen und klimatischen Auswirkungen auf die aquatische Biodiversität und Wasserqualität des Sees kann zur Verbesserung des modernen Seenmanagements verwendet und zur Prognose und Prävention möglicher Beeinträchtigungen, sei es durch Übernutzung oder durch den Klimawandel, herangezogen werden.
Das Forschungsteam
Dr. Katharina Dulias und M. Sc. Luis Victoria Nogales befassen sich am Institut für Geosysteme und Bioindikation der Technischen Universität Braunschweig mit den Auswirkungen von anthropogenen Einflüssen auf die Biodiversität aquatischer Ökosysteme urbaner und naturnaher Räume. Sie haben im Jahr 2022 eine dreijährige "Forschungsgeist!"-Förderung der Karl-Heinz Frenzen-Stiftung erhalten. "Forschungsgeist!" zeichnet innovative Ideen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich der molekularen Ökosystem- und Biodiversitätsforschung aus. In diesem Projekt arbeiten sie sehr eng mit Dr. Juan F. Gibaja vom EEHAR-CSIC (Rom, Italien), Mario Mineo von der Universität Sapienza in Rom (Italien), Dr. Federico Nimo von der Universität Rom III (Italien), Dr. Niccolò Mazzucco von der Universität Pisa (Italien) und Dr. Eneko Iriarte Avilés von der Universität Burgos (Spanien) zusammen.