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Stark im Netzwerk:
Seh-Lotsende eröffnen neue Perspektiven

Aktuelles aus den Stiftungen
Aktuelles aus den Stiftungen

Stark im Netzwerk:
Seh-Lotsende eröffnen neue Perspektiven

Verena Kerkmann hat 2017 gemeinsam mit Dominik Schneider und Nina Gawehn die erste Seh-Lotsen-Sprechstunde (SLS) in Dortmund eröffnet. Heute arbeitet sie als Stiftungsprofessorin an der Hochschule Bochum (ehemals Hochschule für Gesundheit) weiterhin daran. Ein starker Partner ist die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Zudem unterstützen Fördermittel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die aktuelle Entwicklung in Forschung, Beratung und Transfer. Schließlich fördern drei Stiftungen unter dem Dach des Deutschen Stiftungszentrums die Arbeit der Professorin. Auch für Stiftungsverantwortliche, wie etwa Kurt Menzel von der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung im Stifterverband, ist das Angebot der SLS ein Herzensanliegen.

Es ist Freitag. Die Eltern haben sich mit ihrer 13 Monate alten Tochter auf den Weg in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Dortmund gemacht. Ihre Kinderärztin hat empfohlen, dass sie einen Rat in der Seh-Lotsen-Sprechstunde einholen.

Das Mädchen ist aufgrund einer Entwicklungsstörung des Gehirns körperlich beeinträchtigt. Beim Kennenlernen hat die Seh-Lotsin beobachtet, dass das Kind auf den Armen der Eltern zwar versucht hat, Blickkontakt aufzunehmen, die Augenmuskeln aber offenbar nicht stark genug sind, damit das gelingt. Nun hat sie eine für das Kind möglichst angenehme Position geschaffen und beugt sich über das Mädchen, um es zum Blickkontakt einzuladen.

Das Kind erscheint wach und aufmerksam – aber die Augen wandern durch den Raum. Sie wirken unkoordiniert, richten sich kurz auf die Augen der Seh-Lotsin aus, ein Auge schielt dabei, dann driften beide Augen wieder ab. Die Seh-Lotsin schaut in den Augenarztbefund, nimmt eine Probierbrille, steckt Gläser mit der vom Augenarzt angegebenen Brechkraft in die Brille und setzt sie dem Mädchen auf. Nach kurzer Zeit wirkt das Kind wie verwandelt.

Seh-Lotsen-Sprechstunde (Foto: Prof. Dr. Verena Kerkmann)
Fotos: Prof. Dr. Verena Kerkmann

Links: Das Mädchen (13 Monate alt) versucht die Augen auf ihr Gegenüber auszurichten, kann den Blick jedoch nicht halten. Rechts: In der Seh-Lotsen-Sprechstunde wird eine Probierbrille mit gesteckten Gläsern angeboten. Die Brille ermöglicht dem Mädchen die Naheinstellung der Augen. Es blickt erstmals ausdauernd in die Augen der Untersucherin.

 

Neue Perspektiven

Blinden und sehbeeinträchtigen Menschen neue Perspektiven bieten – für Waldtraut Hildebrandt war dies eine Herzensangelegenheit. Gemeinsam mit ihrer Schwester Sieglinde hatte sie am Ende des Zweiten Weltkrieges sowie danach Sanitätsdienst geleistet. Diese Erfahrung hat die beiden Frauen verbunden und so nachhaltig geprägt, dass Waldtraut im Gedenken an ihre Schwester 1991 eine Stiftung gründete, die Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Rehabilitation und der Verbesserung der Lebensbedingungen blinder und sehbehinderter Menschen fördert. Kurt Menzel, Waldtraut Hildebrandts Neffe und heutiger Stiftungsvorstand, erzählt: "Sie haben damals so viel Leid und Elend, zerplatzte Träume und vernichtete Lebensentwürfe von Augenverletzten gesehen, das die beiden nie vergessen konnten. Am Ende ihrer Leben haben sie ihre Vermögen in eine Stiftung überführt, die sich der Aufgabe widmet, die Lebensbedingungen von sehbeeinträchtigten Menschen zu verbessern und die bis heute fortbesteht."

Auch wenn die Stiftung vielleicht wenig in den Schlagzeilen ist, ist sie doch für die betroffenen Patienten lebens- und schicksalsentscheidend!

Kurt Menzel

Vorstand der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung

In Detektivarbeit einen interprofessionellen Handlungsplan entwickeln

Zurück in der Seh-Lotsen-Sprechstunde. Dank der Probierbrille schafft es das kleine Mädchen, die Seh-Lotsin anzuschauen. Das Kind hält inne, beobachtet den Mund und die Augen der Seh-Lotsin und scheint zu staunen.

Was wie eine Wunderheilung wirkt, hat System. Drei Komponenten werden von der Seh-Lotsin miteinander verbunden: Beobachtung von Verhalten (wie Blickkontakt aufnehmen), Untersuchung von Sehfunktionen (wie die Naheinstellung der Augen) und Erproben eines Hilfsmittels (wie der Brille). Das Ergreifende: Wirkt das Hilfsmittel unterstützend, lässt sich das manchmal direkt sehen und erleben – Blickkontakt stellt sich ein oder Schulkinder lesen plötzlich schneller und mit weniger Anstrengung.

Bis dahin kann es in der Versorgungsrealität ein steiniger Weg sein. Oft haben zuerst die Eltern das Gefühl, das etwas in der Entwicklung ihres Kindes nicht stimmt. Herauszufinden, warum ein Kind nicht kann, was es können sollte, kann Detektivarbeit sein, insbesondere, wenn das Kind noch nicht sprechen kann. Hat es visuelle Einschränkungen? Motorische? Kognitive? Und selbst wenn ein visuelles Problem als Ursache eingegrenzt wurde, ist es oft noch ein langer Weg vom "Was?" zum "Warum?" – und dann, am wichtigsten, zum Handlungsplan: "Wie können wir dem Kind helfen?"

Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) sind Anlaufstellen für Familien, die auf der Suche sind. Im Auftrag der niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin wird Ursachenforschung und Beratung im Hinblick auf Lern- und Entwicklungsstörungen sowie Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter angeboten. Hierbei arbeitet ein interprofessionelles Team daran, die alltagsbezogenen Herausforderungen von Familien in den Blick zu nehmen und individuell medizinische, psychologische, therapeutische und pädagogische Maßnahmen zu planen und – bei Bedarf – bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zu verfolgen. 2017 wurde Verena Kerkmann mit Unterstützung von der Psychologin und Leiterin der Entwicklungsneuropsychologischen Ambulanz (ENPA), Prof. Dr. Nina Gawehn, und dem Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Prof. Dr. Dominik T. Schneider, als erste Seh-Lotsin in Deutschland Teil des SPZ-Teams in Dortmund.

 

Von der ersten Seh-Lotsen-Sprechstunde hin
zur Einrichtung eines bundesweiten Angebots

2017 wurde durch die Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW und der Kooperation der Hochschule für Gesundheit und der Klinikum Dortmund gGmbH die Eröffnung der bundesweit ersten Seh-Lotsen-Sprechstunde in der Entwicklungsneuropsychologischen Ambulanz (ENPA) im SPZ des Klinikums Dortmund ermöglicht.

Das innovative Angebot erhielt regional und national viel Aufmerksamkeit und wurde in den Folgejahren von den Familien so gut angenommen, dass die Klinik schließlich wieder gemeinsam mit der Hochschule für Gesundheit einen kooperativen Antrag an die Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung stellte. Diesmal für eine Stiftungsprofessur – mit Erfolg!

Verena Kerkmann erhielt den Ruf. Bereits in den ersten Monaten des Jahres 2022 konnte sie den Dachverband DGSPJ für die bundesweite Einrichtung von Seh-Lotsen-Sprechstunden als Partner gewinnen. Dr. Thomas Becher, Kinderneurologe und Diplom-Heilpädagoge, gründete die Arbeitsgemeinschaft für Seh-Lotsen in SPZ im Zentralen Qualitätsarbeitskreis (ZQAK) der DGSPJ.

Das starke Team aus Hochschule, Klinik und DGSPJ warb 2024 erfolgreich Forschungsmittel ein – als Innovationssprint im Rahmen der DATIpilot Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Von 2024 bis 2026 wird das Projekt zur Entwicklung einer Wissenschaftlichen Weiterbildung für Seh-Lotsende durchgeführt. Zwölf berufserfahrene SPZ-Mitarbeitende erlernen in diesem Rahmen die Beratung nach dem Dortmunder Modell – und helfen gleichzeitig dabei, das Modell so weiterzuentwickeln, dass auch weitere SPZ bald Seh-Lotsen-Sprechstunden eröffnen können. Parallel werden die SPZ-Leitenden zu Implementierungsbedingungen des neuen Versorgungsmodells befragt. 

Weil die Erfolge bei der Entwicklung eines innovativen Versorgungsmodells in so kurzer Zeit außergewöhnlich und sinnstiftend sind, haben wir Verena Kerkmann zum Interview eingeladen. 
 

 

Im Interview: Prof. Dr. Verena Kerkmann

Frau Professorin Kerkmann, was ist das Besondere an Seh-Lotsenden in Sozialpädiatrischen Zentren?

Verena Kerkmann: Unser Auftrag ist es herauszufinden, ob bei Kindern und Jugendlichen eine bislang unentdeckte Sehbeeinträchtigung vorliegt, was die Familien im Alltag bewegt und was sie sich für ihr Kind wünschen. Auch die Kinder selbst kommen zu Wort – entweder indem sie selbst sprechen oder indirekt, indem wir ihr Verhalten beobachten oder die Familien befragen. Wir entwickeln gemeinsam mit den Kindern und ihren Angehörigen individuelle Hilfestellungen, die ihren Alltag erleichtern. Das kann ein einfaches Hilfsmittel sein wie eine Brille, welche die Kinder in der Augenarztpraxis verschrieben bekommen. Haben die Kinder mehr Unterstützungsbedarf, dann können auch Hilfsmittel wie vergrößernde und elektronische Sehhilfen sowie Tablets mit Sprachausgabe sinnvoll sein.
 
Wir tragen dazu bei, eine Versorgungslücke in Deutschland zu schließen, bedienen eine ganz neue Schnittstelle im Übergang von Gesundheit und Bildung und ergänzen so das bestehende Versorgungssystem. Denn selbst wenn in der Augenarztpraxis mögliche Ursachen identifiziert werden, fehlt häufig die Zeit, sich auch die Herausforderungen beim Sehen im Alltag anzuschauen. Wie verhält sich das Kind bei der Bewältigung visueller Aufgaben? Wann kommt es mit seinen Sehbedingungen an Grenzen und unter welchen Umständen kommt es besser zurecht? Dazu braucht es Zeit, Gespräche mit Bezugspersonen und Erfahrung in Beobachtung. Mit dem entsprechenden Hintergrundwissen können die Zeichen einer Beeinträchtigung erkannt werden. Liegt eine Sehbeeinträchtigung vor, die sich auf das Lesevermögen eines Kindes auswirkt, dann können wir durch Sehtafeln und aufbereitete Lesetexte beispielsweise herausfinden, ob das Kind mit bestimmten Eigenschaften von Texten Schwierigkeiten hat. Manche können problemlos lesen, wenn die Buchstaben einen großen Abstand haben. Es gibt auch Kinder, die wirken sehend, aber können viel besser über das Hören oder das Tasten lernen. 
 

Ihre Arbeit wird inzwischen von drei Stiftungen im Stifterverband unterstützt – neben der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung auch von der Ilse Palm-Stiftung und der Brunenbusch-Stein-Stiftung. Was kann durch die Förderungen erreicht werden?

Verena Kerkmann: Ich bin an der TU Dortmund im Team von Professorin Renate Walthes bereits im Nachwuchsforschungsprogramm als Doktorandin von der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung gefördert worden. Dort habe ich eine anspruchsvolle, interprofessionelle Ausbildung erhalten.
 
Das Wissen und die Skills, die wir als Kooperation der Hochschule für Gesundheit und der Klinikum Dortmund gGmbH dann über die Jahre weiterentwickelt haben, werden in der Versorgungsrealität eines Sozialpädiatrischen Zentrums dringend benötigt. Das wird durch den Erfolg, den die aktuellen Initiativen für Forschung und Transfer abbilden und die Resonanz aus den Sozialpädiatrischen Zentren im Netzwerk gespiegelt. Die Bedeutung des Themas zeigt sich auch darin, dass die Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung die Stiftungsprofessur fördert, wir inzwischen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden und der Dachverband der 164 Sozialpädiatrischen Zentren, die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), Konsortialpartner ist. 

Über die Förderung der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung wird es der Doktorandin Juliane Rips auch ermöglicht, ihre Studie zur Evaluation der Seh-Lotsen-Sprechstunde umzusetzen, ein wesentlicher Bestandteil für die bundesweite Skalierung des Angebots nach dem Dortmunder Modell.
 
Die Ilse Palm-Stiftung hat es anlässlich des Projekts ermöglicht, dass wir zwölf Sozialpädiatrische Zentren mit Materialien ausstatten konnten. Die Pilot-Seh-Lotsenden werden also über die Mittel des BMBF weitergebildet und verfügen dank der Palm-Stiftung über die Materialien, um ihre Pilot-Seh-Lotsen-Sprechstunden in den Heimat-SPZ einzurichten. Daran hat sich auch die Firma Piratoplast/Dr. Ausbüttel angeschlossen und angeboten, die Umverpackung der wertvollen Materialien zu stellen. Sie haben mithilfe der Dortmunder Werkstatt über den Teichen GmbH und mit viel Liebe zum Detail Werkzeugkoffer so aufbereitet, dass die Materialien der Palm-Stiftung zur mobilen Sprechstunden geworden sind. Das kann im SPZ sehr praktisch und ressourcensparend sein, weil Räume so multifunktional nutzbar werden und die Seh-Lotsenden sogar Beratungen in anderen Abteilungen einer Kinderklinik anbieten können.
 
Die Brunenbusch-Stein-Stiftung unterstützt weiterhin unsere registerbasierte Forschung in Dortmund. Die Doktorandin Maria-Luisa Menzel Andrino wird im Rahmen ihrer Dissertation den Aufbau des Registers für (bislang unentdeckte), sehbedingte Leseschwierigkeiten (ReseL) an der Klinikum Dortmund gGmbH begleiten. Ihre Arbeit wird auch dazu beitragen, dass wir das Register für einen zukünftigen, multizentrischen Betrieb in Kooperation mit der DGSPJ bundesweit vorbereiten können.

Seh-Lotsende sind eine ganz neue Schnittstelle an den Grenzen von Gesundheit und Bildung.
 

Prof. Dr. Verena Kerkmann

 
Um die Seh-Lotsen-Sprechstunde zu skalieren, ist die Ausbildung von neuen Seh-Lotsenden wichtig. Können Sie kurz von der Weiterbildung sowie vom ersten Fachtag für Seh-Lotsende berichten, den Sie am 9. September 2024 an der der Hochschule für Gesundheit ausgerichtet haben?

Verena Kerkmann: Anlass war die Midterm-Begehung der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftungsprofessur, zu der wir erfreulicherweise Ergebnisse der vergangenen zwei Jahre präsentieren konnten, die meine eigenen Erwartungen übertrafen.
 
Mit Dr. Thomas Becher habe ich innerhalb von nicht einmal zwei Jahren die Erschließung von Fördermitteln vorbereiten und weitere starke Partner gewinnen können – Professor Borusiak als Leiter des zentralen Qualitätsarbeitskreises der DGSPJ leitet mit mir die Initiative zur bundesweiten Einrichtung der Sprechstunden und Professor Schneider begleitet uns als wissenschaftliche Fachberatung, insbesondere im Bereich registerbasierter Weiterbildung und Forschung. Elke van Alen, als erfahrene Orthoptistin in Weiterbildung und Gründerin des Hamburger Netzwerks für Kindertherapie konnten wir als Fachberatung und Teil unseres Lehrteams gewinnen. Die Verbindung von Rehabilitationspädagogik und Medizin, von Forschung und Transfer und von Forschung und Beratung im Versorgungsalltag – das sind Kombinationen, die offenbar nicht nur uns, sondern auch andere überzeugen, die sinnstiftend, nachhaltig und tragfähig sind.
 
Wir haben den ersten Fachtag des Interprofessionellen Netzwerks für Seh-Lotsende (InterNetS) ausgerichtet und damit den zwölf Pilot-Seh-Lotsenden und ihren Leitungen, die ja hinter allem stehen, einen feierlichen Empfang gestaltet.

Dr. Thomas Becher und Prof. Dr. Verena Kerkmann bei der Begrüßung der Pilot-Seh-Lotsenden (Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum)
Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum
Dr. Thomas Becher und Prof. Dr. Verena Kerkmann bei der Begrüßung der Pilot-Seh-Lotsenden anlässlich des Fachtags

Die zwölf Pilot-Seh-Lotsenden aus verschiedenen Sozialpädiatrischen Zentren in Deutschland (Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum)
Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum
Die zwölf Pilot-Seh-Lotsenden aus verschiedenen Sozialpädiatrischen Zentren in Deutschland, die im Rahmen des Fachtags und der Weiterbildung den von der Ilse Palm-Stiftung geförderten Seh-Lotsen-Koffer überreicht bekamen.

 
Dass die zukünftigen Seh-Lotsenden dazu beitragen, das Dortmunder Angebot zu skalieren und hunderte Familien bundesweit zu erreichen, zeigt eine beispielhafte Rechnung: Mit einer halben Stelle in einem SPZ kann man etwa 120 Familien im Jahr beraten. 12 SPZ können dann schon 1.440 Familien pro Jahr beraten. Und erreichen wir eine flächendeckende Versorgung, dann wären es fast 20.000 Familien pro Jahr. Und es sollen noch viel mehr werden! Neben den SPZ haben auch die Förderschulen für Kinder mit Sehbeeinträchtigung Interesse am Erlernen unserer Untersuchungsgänge aus dem SPZ angemeldet. Wenn SPZ und Schulen die gleichen Verfahrensweisen anwenden würden, dann hätten wir erstmals einen echten gleichen Bezugsrahmen und würden in einen immer zielgerichteteren Austausch kommen können. Diese Infrastruktur, die da aktuell entsteht, wird auch ein wichtiger Baustein für unsere zukünftige multizentrische, registerbasierte Forschung sein.
 
Anlässlich des Fachtags am 9. September hat eine Mutter, die wir bereits über längere Zeit in der SLS mit ihrer Familie begleiten, ein Vortrags-Tandem mit Elke van Alen gebildet. Es war aus meiner Sicht der berührendste Vortrag, weil das "Warum", die Motivation hinter den Initiativen für Forschung und Entwicklung so deutlich gemacht hat, für die ich stehe und für die inzwischen ein ganzes Team arbeitet.
 
Die Eltern, die mit ihren Kindern in die Sprechstunde kommen, haben oft schon einen Ärzte- und Beratungsstellenmarathon hinter sich. Der Vortrag von Frau van Alen und Frau Hübner hat dies am Einzelfall sehr deutlich gemacht. Die Wege, die die Familien für ihre Kinder nach der Beratung in der Seh-Lotsen-Sprechstunde finden, können von großem Wert für andere Familien sein. Wir entwickeln aktuell Ansatzpunkte, wie Familien in den Austausch kommen können.
 

Man merkt, mit wieviel Engagement, Enthusiasmus und Herzblut Sie und Ihr Team bei der Sache sind. Was ist Ihre Vision?

Verena Kerkmann: Wir möchten mit unserem Fokus auf das Sehen übergeordnet so vielen Kindern wie möglich die Chance geben, sich als wirksame Teilhabende an der Gesellschaft zu erleben. Denn darum geht es ja eigentlich. Aus sich selbst als wirksam erlebenden Kindern können sich als wirksam erlebende Erwachsene werden – ein wichtiges Fundament für seelische und körperliche Gesundheit.
 
Eine starke Vision ist, ein Zentrum für Forschung, Weiterbildung und Beratung zu etablieren, ein Institut für Seh-Lotsen-Sprechstunden als Anlaufstelle für Fachkräfte aus SPZ. Dies zunächst bundesweit bzw. im deutschsprachigen Raum. Dr. Thomas Becher und ich wollen selbst mehrere Durchgänge weiterbilden und sind hier bereits ein eingespieltes Team, gemeinsam mit der erfahrenen Orthoptistin und Netzwerkerin Elke van Alen.
 
Wir haben dabei auch schon unsere Nachfolge im Blick. Wir möchten zeitnah erste Train-the-Trainer-Programme anbieten, um unser Lehrteam schrittweise zu vergrößern und High Potentials in diesem Gebiet zu fördern. Nach Kindern mit Leseschwierigkeiten wollen wir uns auch weiteren Zielgruppen in Form von Aufbaukursen zuwenden - zum Beispiel Kindern mit Schwierigkeiten im Bereich Orientierung und Bewegung oder bei visueller Kommunikation.
 
Wir sind zuversichtlich, dass wir weitere Fördermöglichkeiten erschließen können. Über die wissenschaftliche Begleitung der Weiterbildung entwickeln wir Kriterienkataloge. Begleitet wird der Innovationssprint hierzu von mehreren Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen. Diese führen Interviews mit den angehenden Pilot-Seh-Lotsenden sowie den SPZ-Leitungen. Zum Projektende haben wir Kriterien für ein machbares Curriculum und eine Markteinführung der wissenschaftlichen Weiterbildung für Seh-Lotsende entwickelt. Damit haben wir gemeinsam einen Grundstein für die bundesweite Einrichtung von Seh-Lotsen-Sprechstunden gelegt. 

Prof. Dr. Verena Kerkmann hat über verschiedene Fördermittel eine Nachwuchsgruppe aufgebaut. (Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum)

Nach zwei Jahren Stiftungsprofessur: Prof. Dr. Verena Kerkmann (Mi.) hat über verschiedene Fördermittel eine Nachwuchsgruppe aufgebaut. Die Förderung von High-Potentials liegt der Professorin besonders am Herzen: Studentische Mitarbeiterin Teresa Menzel Andrino (li.), Wissenschaftliche Mitarbeiterin Maria-Luisa Menzel Andrino (vorne Mi.), Doktorandin Juliane Rips (re.) und die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Michelle Baus (2.v.li.) und Jasmin Wallin (2.v.re.).

Es gibt so viel zu tun in meinem Fachgebiet, das reicht für mehrere Leben. Wie schön, wenn auch andere eine Berufung in diesem für mich so bedeutsamen interprofessionellen Feld finden.

Prof. Dr. Verena Kerkmann

in Bezug auf die von ihr aufgebaute Nachwuchsgruppe

Stiftung baut Brücke in die Zukunft und verbindet Generationen

Über das eigene Leben hinaus Impulse setzen und Veränderungen anstoßen, damit sich die Lebensbedingungen von sehbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen verbessern – das war das Anliegen von Waldtraut Hildebrandt, als sie vor mehr als 30 Jahren in Gedenken an ihre Schwester Sieglinde die gemeinsame Stiftung errichtete. Heute leitet ihr Neffe, Kurt Menzel, die Stiftung – unter seinem Vorsitz und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Stiftungszentrum wurde 2022 erstmalig eine Stiftungsprofessur ausgeschrieben und an Verena Kerkmann vergeben. Mit ihr ist Kurt Menzel im Austausch, er lässt sich regelmäßig über Ergebnisse und Entwicklungen informieren und war auch beim ersten Fachtag für Seh-Lotsende mit dabei. Seinen Eindruck schildert er so: "Aufgefallen ist mir, wieviel Kollegialität in der gesamten Gruppe herrscht. Ich bin sicher, dass das, was Frau Professorin Kerkmanns Team auf die Beine gestellt hat, um Kindern mit Sehschwierigkeiten zu einem besseren Leben zu verhelfen, genau im Sinn meiner Tanten gewesen wäre."

Die Hildebrandt-Stiftung wurde von den Stifterinnen auf Dauer errichtet. Kontinuität bietet neben der Betreuung durch das Deutsche Stiftungszentrum im Stifterverband auch die Familie der Stifterinnen. Mit Weitblick wird der Generationswechsel schon mitgedacht und derzeit vorbereitet – ebenso, wie es auch Verena Kerkmann in ihrem Projekt handhabt.

Mathis Menzel wird seinem Vater Kurt Menzel ins Kuratorium der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung folgen. Zu seiner neuen Aufgabe sagt Mathis Menzel: "Ich habe nur Kindheitserinnerungen an Tante Waldtraut, sie ist 1994 verstorben. Für mich war sie ein Phänomen, ein immer fröhlicher Wirbelsturm. Es ist schön, ihr Ansinnen nun in der dritten Generation fortsetzen zu können."

Das Kuratorium der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung beim Fachtag an der Hochschule für Gesundheit in Bochum (Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum)
Foto: Maria-Luisa Menzel Andrino/Hochschule für Gesundheit, Bochum

Das Kuratorium der Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung beim Fachtag an der Hochschule für Gesundheit in Bochum (Erste Reihe: Dr. Laura Hausmann, Deutsches Stiftungszentrum; Prof. Dr. Verena Kerkmann; Kurt Menzel, Vorsitzender des Kuratoriums der Hildebrandt-Stiftung. Zweite Reihe: Prof. Dr. Nina Gawehn, Prof. Dr. Christian Thiel, Dr. Thomas Becher

Eine Vision wird Wirklichkeit

Seit der Initialzündung für das Seh-Lotsen-Projekt 2017 war es ein langer Weg bis zur Pilotierung der Seh-Lotsenden-Ausbildung heute. Wenngleich viele Fortschritte und vielversprechende Ergebnisse erzielt wurden, ist der Weg noch lange nicht zu Ende – es gibt noch viel zu tun! 

Die Erfahrungen in dem Projekt zeigen, wie aus der Zusammenarbeit vieler engagierter Menschen, die ihre Sichtweisen und ihr Handeln miteinander verzahnen, Synergien entstehen. Ohne die Förderungen der drei vom DSZ betreuten Stiftungen wäre eine Finanzierung dieser Mammutaufgabe nicht möglich gewesen - und gleichzeitig wäre ohne die Anstrengungen, Leistungen und Visionen all der Menschen, die die Förderungen in greif- und messbare Taten umsetzen, alles Geld nutzlos. Erst gemeinsam wird aus einer Vision Wirklichkeit.
 

 

Drei Stiftungen – ein Anliegen:
Sehfähigkeiten stärken

  • Die Waldtraut und Sieglinde Hildebrandt-Stiftung fördert Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Rehabilitation und der Verbesserung der Lebensbedingungen blinder und sehbehinderter Menschen. 2019 schlug die Hildebrandt-Stiftung mit der Ausschreibung Forschung für Blinde und Sehbehinderte: Teilhabe und Inklusion einen neuen Weg ein, der sich eng an den Auftrag der UN-Behindertenrechtskonvention anlehnt: In dem als Ideenwettbewerb konzipierten Programm sollen Projekte gefördert werden, die auf die Integration von blinden und sehbehinderten Menschen in Gesellschaft, Bildungssystem und Arbeitsmarkt abzielen. Angesprochen werden Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, Augenheilkunde, Psychologie, Informatik und Technikwissenschaften, um in einen interdisziplinären Dialog einzutreten und Maßnahmen für eine inklusive Gesellschaft mit dem Fokus auf Blinde und Sehbehinderte zu erarbeiten. Die Stiftung wurde 1991 unter dem Dach des Stifterverbandes errichtet und wird vom Deutschen Stiftungszentrum betreut.
     
  • Die Ilse Palm-Stiftung besteht seit 1996 und vergibt Zuschüsse für wissenschaftliche Projekte auf dem Gebiet der Augenheilkunde.
     
  • Die Brunenbusch-Stein-Stiftung dient der Förderung der medizinischen Forschung. Seit 1992 konzentriert sich die Stiftung auf die Förderung modellhafter Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Augenheilkunde durch die Gewährung von Sachbeihilfen.

 

Kontakt

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Kontaktieren Sie uns gerne:

Laura Hausmann (Foto: Sven Lorenz)

Dr. Laura Hausmann

ist Stiftungsmanagerin und stellv. Leiterin 
des Teams "Wissenschaft und Umwelt".

T 0201 8401-199

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Prof Dr. Verena Kerkmann

Hochschule für Gesundheit, Bochum

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